Internationales

alt25.03.2012: Der Bundestag hat am 22. März 2012 über einen Antrag der Linken und über einen zweiten Entwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Anerkennung der Vernichtungsfeldzüge gegen die Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1904-08), dem heutigen Namibia, als Völkermord debattiert. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich dabei die komplette Opposition für eine förmliche Entschuldigung des Bundestags gegenüber den Nachfahren der mehr als 100.000 Opfer ausgesprochen.

Trotzdem wurden beide Anträge nach nur halbstündiger Debatte mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt.

"Angesichts der einhelligen Feststellung von Fachwelt und Öffentlichkeit, dass die kaiserlichen "Schutztruppen" an den Herero und Nama einen Völkermord begangen haben, kommt es einer Leugnung des Genozids gleich, wenn die Regierungskoalition nun erneut dessen Anerkennung verweigert", sagt Christian Kopp von Berlin Postkolonial. "Im Namen von mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen aus allen Teilen Deutschlands, die innerhalb weniger Tage den Bündnisaufruf 'Völkermord verjährt nicht!' unterzeichnet haben, verurteilen wir ein derart unwürdiges Fliehen vor Deutschlands historischer Verantwortung auf das Schärfste! Gleichzeitig begrüßen wir, dass nun neben der Linken auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen wirkliche Meilensteine auf dem Weg zur Versöhnung mit den Nachfahren der Opfer gesetzt haben. Mit ihren Reden, die der außergewöhnlichen Schwere und Bedeutung des Themas angemessen waren, haben sie bewiesen, dass sich auch in Deutschland eine neue, kritische Sicht auf unsere koloniale Vergangenheit durchzusetzen beginnt. Wir sehen das nicht zuletzt als Erfolg des ausdauernden Engagements der Organisationen des Bündnisses".

Der Vorgang im Deutschen Bundestag wirft ein bezeichnendes Licht auf die wahre Haltung derer, die sonst gerne die Menschenrechtsflagge heraushängen und die Verurteilung von Gewalt in anderen Staaten zum Anlass für imperiale Kriegseinsätze und Hegemonialinteressen missbrauchen. Obwohl bereits im Vorfeld der Debatte am 22. März im Bundestag veröffentlicht, beleuchtet der nachstehende Artikel noch einmal komprimiert die Problematik und hat im Kern  in seinen Aussagen weiter Gültigkeit:


Am 22. März wird das deutsche Parlament über einen Antrag diskutieren, der die Anerkennung des brutalen Völkermords an den Völkern der Nama und Hereros zwischen 1904 und 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika zum Gegenstand hat. Die bisherige diesbezügliche Verweigerung der BRD und ihr nicht einmal 'diplomatischer' Umgang mit der namibischen Delegation im Herbst 2011, die wegen der erstmaligen Rückführung sterblicher Überreste von Opfern des Völkermords nach Deutschland kam, macht eine Neubewertung der unterdrückten Kolonialgeschichte und des Rassismus weiter dringlich.

Das Schweigen über die koloniale Vergangenheit Deutschlands ist unerträglich geworden - sowohl in Deutschland, als auch in den betroffenen Ländern. Die gegenwärtige Regierung der Bundesrepublik Deutschland scheint keine Scham bei der betonten Aussage zu fühlen, dass Deutschland angeblich nur ein 'leichtes koloniales Gepäck' mit sich führt, weil es ja seine Kolonien nach dem 1. Weltkrieg verlor. Wie kurz der koloniale Zeitabschnitt des Landes jedoch gewesen sein mag, er spielt eine zentrale Rolle in der Kolonisierung des afrikanischen Kontinents. Denn die Aufteilung Afrikas zwischen den europäischen Ländern in den Jahren 1884/1885 erfolgte gerade in Berlin - auf Einladung des deutschen Kaisers und seines Kanzlers Bismarck. Gut organisierte Gemeinschaften wurden brutal mit dem klaren Ziel zerschlagen, die afrikanischen Völker besser zu kontrollieren, zu spalten und ihrer Rohstoffe zum Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung der imperialen Mächte zu berauben.  

Deutschland, welches lobenswerte Arbeit zur Erinnerung des Holocaust geleistet hat, scheint seine gewalttätige koloniale Vergangenheit vergessen oder absichtlich vergraben zu haben. Es ist eine Vergangenheit, die den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts in sich trägt, welcher vom Kaiserreich - dem zweiten Reich - geplant und durchgeführt wurde. Es ist eine Vergangenheit, die nicht nur die Grundlagen rassistischer Theorien und pseudo-wissenschaftlicher medizinischer Experimente an Menschen legte - in diesem Fall galt es, die vermeintliche Minderwertigkeit der Afrikaner zu beweisen - sondern mit den Konzentrationslagern in Afrika auch die Blaupausen für die späteren Todeslager der Nazis schuf.

Die Art und Weise, wie Deutschland diese Vergangenheit zu verschweigen sucht, scheint Dr. Theo-Ben Gurirab recht zu geben, wenn er feststellt, dass der Grund dafür, dass dieser Völkermord nicht genauso wie der Holocaust diskutiert und behandelt wird, vor allem darin liegt, dass er sich gegen Schwarze richtete: "Deutschland entschuldigt sich für an Israel, Russland oder Polen begangenen Verbrechen, weil es dabei um Weiße geht. Wir sind Schwarze, und wenn es deswegen ein Problem gibt, sich zu entschuldigen, so ist das rassistisch."

Es gibt also sehr gute Gründe, aus beiden Perspektiven - der afrikanischen und der europäischen, viel mehr über diese traumatische Vergangenheit bekannt zu machen, über die Kontinuität von der Sklaverei zum Kolonialismus und weiter zu Holocaust und der Apartheid und über die Art und Weise, wie Deutschland und die anderen früheren Kolonialmächte damit heutzutage umgehen.

Von 1904 bis 1908 führte das kaiserliche Deutschland einen grausamen und unmenschlichen Vernichtungskrieg gegen die Herero-, Nama-, Damara- und San-Völker in seiner ehemaligen Kolonie 'Deutsch Südwestafrika', dem heutigen Namibia. Nach den Kriterien der Völkermord-Konvention der UN aus dem Jahre 1948 müssten die von den deutschen Truppen begangenen Greueltaten und Massaker als Völkermord bezeichnet werden.

Erst seit der Unabhängigkeit Namibias im Jahre 1990 wurde es für die Nachkommen der Opfer des Völkermords und eine freie Regierung Namibias möglich, mit Offenheit und selbstbestimmt ihre Sicht dieser geschichtlichen Ereignisse auszudrücken und einen Prozess der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit einzuleiten. Dies beinhaltet auch die Forderung nach einer "Wiederherstellung der Gerechtigkeit", welche von grundlegender Bedeutung für die weitere Entwicklung Namibias ist. Sie ist für den nationalen Versöhnungsprozess zwischen den verschiedenen Völkern in Namibia und den Nachkommen der deutschen und anderen weißen Siedler moralisch bedeutend.  

In einer mehr materiellen Hinsicht ist dieses Thema mit der noch ungelösten Frage der Landreform in Namibia und einer Situation eng verknüpft, durch welche die Nachkommen der Opfer des deutschen Völkermords zu einem Leben in bitterer Armut verdammt sind. Dies ist weitgehend der Tatsache geschuldet, dass ihnen ihr Land und Vieh geraubt und hauptsächlich während der deutschen Kolonialherrschaft den weißen Siedlern gegeben wurde. Abgesehen von diesen ökonomischen Nachteilen sind die entwurzelten Menschen einer kolonialen Denkweise ausgesetzt, die immer noch viele davon abhält, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, um ihre Zukunft und die ihres Landes zu gestalten.

Bis heute weigert sich die deutsche Bundesregierung - welche der rechtliche Nachfolger des kaiserlichen Deutschlands ist - diesen Völkermord anzuerkennen und sich dafür zu entschuldigen. Es gibt einige Verwirrung darüber, ob die Worte der Entschuldigung, welche die frühere Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Jahre 2004 in Okakarara aussprach, als eine offizielle Entschuldigung angesehen werden können oder nicht. Beim 100-Jahre-Gedenken des Beginns des Völkermords im Jahre 1904 erklärte sie: "Die zur damaligen Zeit begangenen Grausamkeiten würden heute als Völkermord bezeichnet werden - und heutzutage würde ein General von Trotha verfolgt und verhaftet werden. Wir Deutschen akzeptieren unsere historische und moralische Verantwortung und die in dieser Zeit entstandene Schuld der Deutschen. Und deshalb bitte ich Sie, in den Worten des uns gemeinsamen 'Vaterunsers' um Vergebung unserer Schuld. Ohne einen bewussten Prozess des Erinnerns und ohne Trauer kann es keine Versöhnung geben - Erinnern ist der Schlüssel zur Versöhnung." Heute ist es mehr als klar und gesichert: die deutsche Bundesregierung betrachtet diese Worte als eine persönliche Erklärung durch die Ministerin und folgt ihr nicht. Eine offizielle Entschuldigung fehlt weiterhin.

Während des Jahres 2011 wurde bekannt, dass das Berliner Charité-Krankenhaus gewillt war, 20 der vielen Tausend immer noch in deutschen Archiven und Sammlungen eingelagerten sterblichen Überreste der Opfer dieses Völkermords an die Republik Namibia und ihre Menschen zurück zu geben. Seit mehr als 100 Jahren sind inzwischen diese menschlichen Überreste still in Sammlungen und Archiven von Instituten der Pathologie, von Universitäten und von anderen deutschen Institutionen eingelagert, versteckt wie unerwünschte Zeugnisse einer verleugneten Vergangenheit.

Die meisten dieser sterblichen Überreste wurden in den vielen deutschen Konzentrationslagern im ehemaligen 'Deutsch Südwestafrika' geraubt und von dort zum Zwecke von 'wissenschaftlichen' Experimenten und Untersuchungen nach Deutschland geschmuggelt, um die rassische Minderwertigkeit der schwarzen Menschen zu 'beweisen'. "Durch Verwendung von Glasscherben" hatten die Frauen der Ermordeten Schwarzen gemäß dem Untertitel einer  Photografie auf einer damaligen verbreiteten Postkarte "das Fleisch von den Schädeln zu entfernen", um sie so für den Versand nach Deutschland vorzubereiten.

Um nach mehr als 100 Jahren die ersten dieser Überreste in die Heimat zurück zu bringen, kam 2011 eine hochrangige Delegation aus Namibia nach Deutschland. In ihr befanden sich wichtige Vertreter der Komitees der Nachkommen der Opfer, des Nama Technical Committee (NTC), des Ovaherero-Ovambanderu Rates für den Dialog über den Völkermord von 1904 (OCD-1904) und des Ovaherero Völkermordkommitees (OGC), und die Delegation wurde vom namibischen Minister für Jugend, Sport und Kultur, Kazenambo Kazenambo, geleitet.

Entgegen allen diplomatischen Regeln und vollständig unempfindlich hinsichtlich der historischen und emotionalen Bedeutung des Ereignisses, hat die deutsche Bundesregierung sich nicht nur geweigert, die Delegation offiziell zu begrüßen. Sie lehnte auch eine Teilnahme an einer Podiumsdiskussion am 28. September 2011 ab und verursachte einen Skandal, als Staatssekretärin Cornelia Pieper - sie verweigerte wie ihre Vorgänger die Anerkennung des Völkermordes und eine Entschuldigung dafür im Namen der deutschen Nation und ihres Staates - den Veranstaltungsort verließ, ohne auch nur den Anstand aufzubringen, die Reden der namibischen Delegation anzuhören.

Die diesem Ereignis folgende Monate waren durch eine stetige Verschlechterung der deutsch-namibischen Beziehungen gekennzeichnet. Der deutsche Botschafter in Namibia schüttete Öl in Feuer, indem er mehrere abfällige öffentliche Kommentare über vermutliche "versteckte Absichten" der Delegation in Berlin machte. Zwei der Opferkomitees reagierten auf diese Anschuldigungen scharf, was zu einer Diskussion darüber im Deutschen Bundestag führte. Kurz darauf endete ein Vier-Augen-Gespräch zwischen dem deutschen Botschafter und dem Präsidenten der Republik Namibia, Hifikepunye Pohamba, mit einer herben Enttäuschung und dem Botschafter wurde für sein unsensibles und arrogantes Verhalten die Tür gewiesen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern hatten einen zeitweiligen Tiefpunkt erreicht.

In der Zwischenzeit erlebte Namibia einige Monate intensiver öffentlicher Debatten darüber, wie man mit all den Fragen umgehen solle, die sich aus einer Rückführung der Schädel ergaben: zur Geschichte, zu Forderungen nach Wiedergutmachung, zum Völkermord selbst, zur Notwendigkeit der Einheit zwischen den Komitees der Hereros und der Namas, zur Frage der Landverteilung und einer Landreform und - jüngst als Debatte aufgekommen - zur nationalen Identität im Gegensatz zu einer Stammesidentität Namibias. Dazu gab es auch reaktionäre Kommentare in Leserzuschriften und Artikeln, die in der deutschsprachigen namibischen 'Allgemeine Zeitung' veröffentlicht wurden. In diesen Foren wurde gezielt die 'Kultur der Verweigerung' genährt.

Kürzlich wurde ein Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der den Titel trug: "Die deutschen Kolonialverbrechen im früheren Deutsch Südwestafrika als Völkermord anerkennen und sich für die Wiederherstellung von Gerechtigkeit einsetzen." Er behandelt Kernprobleme und wäre bei einer Annahme ein großer Schritt vorwärts. Aber auf Grund der deutschen politischen Machtverhältnisse wird er höchstwahrscheinlich in der Diskussion und Abstimmung am 22. März - genau einen Tag nach dem Unabhängigkeitstag Namibias - keine Mehrheit bekommen. Dennoch wurde er ein wichtiger Teil der öffentlichen Debatte, und es wäre schon ein starkes symbolisches Zeichen, wenn ihn alle drei derzeitigen Oppositionsparteien unterstützten.

Das Ziel dieser Sonderausgabe ist es, zu dieser Debatte beizutragen, indem wir anerkannte Experten, Aktivisten, Intellektuelle, Historiker und Journalisten sowohl aus Afrika, als auch aus Europa bitten, die jüngsten Ereignisse in Berlin zu kommentieren und in diesem Rahmen einige wichtige geschichtliche und politische Hintergrundinformationen zu der Problematik mit einer breiteren Öffentlichkeit auszutauschen. Wir möchten die Debatte zwar besonders für die internationale Öffentlichkeit auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch für die Afrikaner außerhalb des Kontinents anstoßen. Ferner geht es nicht nur darum, das Geschehen im früheren und heutigen Namibia zu diskutieren, sondern den deutschen und europäischen Kolonialismus im Allgemeinen.

Quelle: Sonderausgabe von Pambazuka News und AfricAvenir International

Foto: Wikimedia (überlebende Herero 1907)

 

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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