Meinungen

Bolivien Alvaro Garcia Linera 204.06.2019: Álvaro García Linera, Vize-Präsident von Bolivien, hielt im Mai dieses Jahres an der Universität Mailand-Bicocca anlässlich der Konferenz "Alternativen zum Kapitalismus" im Rahmen des Postgraduiertenkurses Critical Thinking einen Beitrag, in dem er sich mit der Möglichkeit des Kommunismus befasste:

 

Kommunismus als möglicher Horizont

von Álvaro García Linera

Es besteht kein Zweifel daran, dass es eine allmähliche Renaissance des marxistischen Denkens gibt, eine pluralistische, vielfältige, vielgestaltige Renaissance seiner Ansätze, seiner Vorschläge. Nicht nur wegen der Existenz neuer Publikationen, sondern auch, weil in gewisser Weise die Geschichte wieder in Gang gesetzt wurde.

So wie wir vor 30 Jahren den Fall der Berliner Mauer und das Scheitern des realen Sozialismus erlebt haben, so haben wir in den letzten zehn Jahren den Zusammenbruch der Börse und das Scheitern der neoliberalen Ideologie als Ende der Geschichte erlebt. Und das erlaubt es uns wieder, über die Zukunft nachzudenken, über die Möglichkeiten der Zukunft.

Was ist Kommunismus?

Welche Namen auch immer verwendet werden - Kommunismus, Postkapitalismus, Common - es ist eine der möglichen Antworten auf die Frage, was die Zukunft der Menschheit ist. Es ist eine Art, eine wahrscheinliche und zukünftige Organisation des menschlichen Lebens zu benennen, die sich von der gegenwärtigen kapitalistischen Organisation unterscheidet und in der Lage ist, die Ungerechtigkeiten und Widersprüche zu überwinden, die der Kapitalismus selbst hervorruft.

Wir sprechen von etwas Wahrscheinlichem und vor allem in der Zukunft, also von etwas, das nicht existiert, aber möglicherweise existieren könnte, denn die jetzt existierende Gesellschaft erzeugt viel menschliches Leid, viel Ungerechtigkeit, erzeugt die Herrschaft einiger Menschen über andere und deshalb ist es normal, dass die Menschen über die Existenz einer anderen Gesellschaft nachdenken oder erhoffen, in der diese Leiden und Ungerechtigkeiten verschwinden.

Aber jetzt das logische Problem: Warum sollte es etwas geben, das nicht existiert? Warum sollte nicht akzeptiert werden, dass das, was existiert, immer weiter existieren wird? (....) Denn um die Wahrscheinlichkeit einer bestehenden Zukunft, einer vom Kapitalismus unterschiedlichen gesellschaftlichen Organisation zu verwerfen, muss davon ausgegangen werden, dass der Kapitalismus unersetzlich ist, dass er eine höchste und endgültige soziale Ordnung ist, zu der die Menschheit gelangt ist, und in diesem Sinne, dass die Geschichte ihren Höhepunkt erreicht hat, wobei man sich nur um die Verwaltung dieses endgültigen Ziels kümmern muss, das die Menschheit erreicht hat.

Ende der Geschichte

Die argumentative Kraft dieser Antwort liegt in der Tatsache, dass sie auf der Legitimation des gesunden Menschenverstands beruht, der die dominante Gesellschaftsordnung verinnerlicht, aber es ist eine mystische und theologische Sicht auf die Geschichte der Menschheit. Es sind nicht Vernunft, sondern Überzeugungen, die die unerschütterliche Verinnerlichung der herrschenden Ordnung und ihrer Ungerechtigkeiten unterstützen. Der Lauf der Menschheitsgeschichte, wie wir sie bisher objektiv und fundiert kennen, ist eine Möglichkeit, eine Artikulation von Umständen, die zu unterschiedlichen Formen der wirtschaftlichen und sozialen Organisation geführt haben.

Der Verlauf der Menschheit seit 60.000 Jahren ist ein Produkt bedingter Handlungen der Menschheit selbst und nicht die Erfüllung einer zuvor von geheimnisvollen, über dem Menschen stehenden Kräften aufgestellten Roadmap. Diese Möglichkeit der Geschichte abzulehnen, bedeutet, über die Gegenwart als übernatürlicher oder außerirdischer Kräfte wie der Götter zu diskutieren. In diesem Fall gibt es nichts mehr zu diskutieren.

Unabhängig von der Debatte über die Existenz Gottes als großer Organisator der Geschichte ist klar, dass die religiöse Mystifikation eine wirksame Rolle bei der Legitimation von Herrschaftsbeziehungen spielen kann.

Eine solidere Variante, heute die Möglichkeit des Kommunismus als Alternative zum Kapitalismus zu leugnen, besteht darin, zu bestätigen, dass der Kommunismus in der ehemaligen Sowjetunion existierte und scheiterte. Es wird argumentiert, dass der Kommunismus in der UdSSR errichtet wurde, 70 Jahre lang wuchs, andere Ungerechtigkeiten hervorrief und schließlich dem demokratischen und technologischen Impuls des Kapitalismus erlag.

Obwohl dieses Argument der historischen Entwertung des Kommunismus letztendlich immer noch im Wirken einer nichtmenschlichen Hand auf die Richtung des Gesellschaftsverlaufs mündet, um zu rechtfertigen, dass eine neue und andere Erfahrung des Kommunismus eintreten kann, ist klar, dass die Feststellung des Zusammenbruchs der UdSSR ein stärkeres und komplizierteres Argument ist. Tatsächlich hat die Auflösung einer möglichen kommunistischen Zukunft durch den Zusammenbruch der UdSSR am Ende des 20. Jahrhunderts das Aufgeben einer ganzen Generation von Militanten verursacht, die resignierten oder in den Armen der neoliberalen Verführung reumütig wurden.

Dadurch konnte in den letzten 30 Jahren die kommunistische Alternative, die ein Horizont der Hoffnung für die Kämpfe der Völker war, auf ein verschämtes Wort reduziert werden, das von einer treuen Minderheit heimlicher Anhänger bewacht wird.

Heute, nach der Prozession einer trauernden Generation, wird erneut das Konzept des Kommunismus, der Gemeinschaftsgüter, des Gemeinwohls, des Postkapitalismus, nicht nur als schickes Emblem einer akademischen Rebellion, sondern auch als Option erwähnt, als eine Notwendigkeit, um die wachsende Liste der Missstände zu überwinden, die die Arbeiter der Welt ertragen.

Es gibt Bedingungen dafür. Die religiöse Philosophie des Endes der Geschichte hat ihren Treibstoff der Überzeugung erschöpft. Staats- und Arbeitskonflikte brechen überall aus. Selbst im reichen Europa gehen die plebejischen Klassen auf die Straße. Ungleichheiten beim Zugang zu Ressourcen sind zu den Indizes des frühen 20. Jahrhunderts zurückgekehrt, und die scheinbar unaufhaltsame Globalisierung kollidiert mit Brexit, den US-Zöllen und Merkels Sprache kontinentaler Sicherheit gegenüber China und widerspiegelt so den unausgereiften, unfertigen, unvollendeten Charakter der Geschichte und befördert so auf einer neuen Basis und einer neuen Generation von Aktivisten die Debatte über den Postkapitalismus.

Der Nebel des Endes der Geschichte hat sich aufgelöst und die menschliche Geschichte offenbart sich wieder als ein Raum voller Chaos und Unsicherheit. Das Versagen des Kapitalismus, Ungerechtigkeiten, die Ketten der Herrschaft, den Klimawandel oder das universelle Nutzungsrecht an fantastischen technologischen Entwicklungen zu lösen, ist heute genauso stark wie das Versagen der Sowjetunion im letzten Jahrhundert, eine bessere Welt aufzubauen.

Und dann entsteht der Kommunismus wieder, unter verschiedenen Bedingungen, unter verschiedenen Sprachen, als möglicher Horizont.

Ist der Kommunismus eine Idee?

Ich zitiere aus einem Text von Marx: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung."

Wie können wir die Möglichkeit einer anderen Zukunft als des Kapitalismus auf der Grundlage einer Idee rechtfertigen? Von etwas zu sprechen, das nicht existiert, aber möglicherweise existieren könnte, hat zumindest die Tugend, die "menschliche" Erklärung des historischen Verlaufs zu verdeutlichen und die Möglichkeit und Ungewissheit des Verlaufs der Sozialgeschichte als Hypothese oder Konzept offen zu lassen. Allerdings wird seine Erklärungskraft verwässert, weil es sich um eine Idee mit den gleichen Realisierungswahrscheinlichkeiten handelt wie hundert oder tausend oder eine Million Ideen, die man über eine bessere Zukunft für die Menschheit haben kann. Im Laufe der Geschichte haben sich Tausende von Menschen Optionen vorgestellt oder konzeptionell entworfen, wie sie eine andere als die vorherrschende Zukunft beschreiben können, und keine dieser Ideen wurde realisiert. Selbst Ideen mit kollektiver Verankerung und der Fähigkeit Verhaltensweisen zu entwickeln - wie Religionen - die Lösungswege vorschlagen, sind nicht verwirklicht worden und werden höchstwahrscheinlich nie verwirklicht werden.

Warum also sollte die kommunistische Idee ein anderes Schicksal haben als die Tausende von unerfüllten Ideen, Hypothesen und Vorschlägen für die Zukunft? Ihre Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung würde den gleichen winzigen Wahrscheinlichkeitsbereich haben wie die politischen, spekulativen, religiösen oder spirituellen Hypothesen, die es über die beste Zukunft der Welt gibt.

Es liegt daran, dass die Idee des Kommunismus als Überwindung des Kapitalismus einen viel größeren Rahmen logischer Wahrscheinlichkeit der Realisierung hat, weil es sich um eine prozessuale performative Idee [1] handelt, sie ist eine Ideen-Bewegung. Nicht nur eine Idee und Bewegung der Ausstrahlung, sondern eine Idee, die aus einer realen objektiven Bewegung resultiert, die ihre Leistungsfähigkeit oder Fähigkeit, durch das erhält, was sie ausspricht.

Sehen wir also den Kommunismus als eine echte Bewegung. Ich zitiere Marx: "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung."

In den wenigen Referenzen, die normalerweise verschlüsselt sind, mit denen Marx sich auf den Kommunismus bezieht, ist eine zentrale Aussage, dass es sich nicht um eine Idee handelt, die von einem Reformator der Welt erfunden wurde, sondern um eine Idee, die zum Ausdruck kommt, die entsteht, die aus einer historischen Bewegung resultiert. Tatsächlich besteht Marx in der Kritik der Politischen Ökonomie, im Kapital, in den Resolutionen der Internationalen Arbeiterassoziation usw. darauf, dass die materielle Realität des Kapitalismus in seinem Schoß die materiellen Bedingungen erzeugt, die die reale Möglichkeit des Kommunismus als eine Produktionsweise eröffnen, die "aus dem Alten entstanden ist".

Der Weltmarkt, der die Produktion des ganzen Planeten miteinander verbindet, der allgemeine Intellekt, der den Einzelnen als bloßen Aufseher des planetarischen gesellschaftlichen Arbeitsprozesses platziert, die kooperativen Fabriken als Übergangsformen vom kapitalistischen zum assoziativen Produktionsmodus und so weiter, verbinden die mögliche Zukunft mit einer bereits bestehenden materiellen Realität.

Es ist verständlicherweise keine kommunistische Zukunft, die im Kapitalismus bereits existiert. Es ist eine Zukunft, deren Verwirklichung Wurzeln hat, Bedingungen der realen Möglichkeit in der Gegenwart, und deshalb ist sie eine zukünftige Bewegung, ein Prozess. Der Kommunismus ist dann eine mögliche Zukunft, aber in Bewegung aus der Gegenwart. Er ist nicht die Gegenwart, aber seine Existenzbedingungen liegen in der Gegenwart. Die Gegenwart ist "schwanger mit der Zukunft", also müssen wir diese zukunftsgerichteten Bedingungen freisetzen. Der Kommunismus existiert heute nicht, aber die materiellen Bedingungen seiner Existenz werden heute geschaffen, und deshalb ist er eine Zukunft in Bewegung, oder besser gesagt: eine Bewegung in Richtung der kommunistischen Zukunft.

Der Kommunismus ist eine performative Idee

Die Idee des Kommunismus, die Hypothese des Kommunismus, ist also viel mehr als eine formale Idee oder ein logisches Konzept. Es ist eine Idee mit der Absicht des Kommunismus ab dem Moment seiner Äußerung, denn es bedeutet Kampf, Bemühung, etwas zu befreien, das bereits in der Realität enthalten, eingesperrt, deformiert ist, so dass es zu einer wirklichen Zukunft wird.

Ich benutze Austin [2] und John R.Searle in der Philosophie der Sprache. In Austins Worten ist es eine performative Äußerung, die darauf abzielt, eine Veränderung der gegenwärtigen Realität zu bewirken, so dass die zukünftige Realität des Kommunismus mit dem Inhalt des Aktes des Sprechens über die kommunistische Zukunft übereinstimmt. Mit anderen Worten, vom Kommunismus zu sprechen, ist auch eine Möglichkeit, ihn zu produzieren. Und diese Fähigkeit des Wortes Kommunismus, der kommunistischen Idee, Dinge zu produzieren, reale Ereignisse in Richtung Kommunismus, liegt nicht in der diskursiven Qualität der ausgesprochenen Zukunft, sondern im Inhalt der dargestellten Gegenwart, die danach strebt, Zukunft zu werden, und die die kommunistische Idee zu einer Kraft für die Zukunft macht.

Mit anderen Worten, vom Kommunismus zu sprechen, ist auch eine Möglichkeit, ihn zu erzeugen. Und diese Fähigkeit des Wortes Kommunismus, der kommunistischen Idee, Sachen zu erzeugen, reale Ereignisse in Richtung Kommunismus, liegt nicht in der diskursiven Qualität der ausgesprochenen Zukunft, sondern im Inhalt der dargestellten Gegenwart, die danach strebt, Zukunft zu werden, und die die kommunistische Idee zu einer Kraft für die Zukunft macht.

Ich fasse zusammen: Der Kommunismus ist eine performative Idee, aber die Performativität des Kommunismus liegt nicht im Wort selbst, die Performativität liegt in der Tatsache, dass sie eine Realität ausdrückt. Und dann kann das Wort Realität schaffen, weil es eine Realität gibt, die sich intern entwickelt und die mit dem Wort übereinstimmen kann. Die Performativität der Wörter, ihre Fähigkeit, die Realität zu produzieren, die sie aussprechen, ist keine Fähigkeit, die vom Wort oder der Idee abhängt, sondern davon, wie diese Wörter und Ideen in eine Handlung gemeinsamer Darstellungen eingeschrieben werden und welche Art von Realitäten im Laufe möglicher Handlungen ermöglicht werden. Die kommunistische Hypothese wäre nichts anderes als ein frommer Wunsch oder eine formale Kategorie, wenn sie nicht gerade deshalb wäre, weil sie einen realen Prozess darstellt, den sie vorantreibt und dazu beiträgt, die Realität zu schaffen, die sie ausspricht. Der Kommunismus ist also eine kraftvolle Idee, d.h. eine Idee, die denjenigen verpflichtet, der sie ausspricht. Und indem sie zu einem gesellschaftlich gemeinsamen gesunden Menschenverstand wird, hilft sie, die durch die Idee repräsentierte Realität zu schaffen.

Die kommunistische Idee, die kommunistische Hypothese der Zukunft, ist nichts ohne den realen Prozess des in Wirklichkeit vorhandenen Kommunismus. Nur die reale Bewegung entreißt sie der Anonymität der Tausenden von impotenten Ideen über die Zukunft, um ihr Konsistenz zu verleihen und die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Realisierung zu erhöhen. Deshalb wird der kommunistische Ideenprozess geboren, stirbt, wird wiedergeboren, wird wieder getötet, wird wiedergeboren, fällt wieder und wird wiedergeboren, weil die realen Bedingungen seiner zukünftigen Existenz vorhanden sind und bleiben werden, solange der Kapitalismus existiert.

    "ln Wirklichkeit kann man nur den Kampf »wissenschaftlich« vorhersehen, aber nicht seine konkreten Momente, die nur Ergebnisse kontrastierender, ständig bewegter und nicht auf fixe Quantitäten zurückführbarer Kräfte sein können, weil in ihnen Quantität immer in Qualität umschlägt."
Antonio Gramsci, Gfh, Bd. 6, S. 1400
   

 

Tatsächlich muss der Kapitalismus die kommunistische Idee ständig töten, bewerten, immer wieder zerschlagen, um seine eigene Existenz zu reproduzieren. Der Tod des Kommunismus ist also eine produktive Kraft des Kapitalismus, aber gleichzeitig hört die reale Bewegung an sich nicht auf, eine Tendenz, eine larvenförmige Macht in einem untergeordneten Zustand zu sein, die in der Lage ist, die erweiterte Reproduktion des Kapitalismus auf unbestimmte Zeit zu begleiten. So erfordert die wirkliche Bewegung der kommunistischen Zukunft, die verwirklicht, befreit werden soll, die Kraft der Idee, die performativen Worte, die praktisches gemeinsames Handeln antreiben. Nur die Kraft der Idee oder die performative Idee erweitert die Handlungsmöglichkeiten in Richtung Kommunismus selbst. Aus all diesen Gründen braucht die kommunistische Idee die reale Bewegung un dist untrennbar mit ihr verbunden, und die reale Bewegung kann sich nur mit der Idee realisiert werden und ist untrennbar mit der Idee verbunden.

Wenn Sie es so vorziehen: die Hoffnung kann nur verwirklicht werden, wenn materielle Bedingungen existieren, um sie realisierbar zu machen, und materielle Bedingungen können nur überwunden werden, wenn es die kollektive subjektive Kraft gibt, für sie zu kämpfen. Daher können wir zusammenfassen, dass der Kommunismus eine Bewegung der Idee ist, eine Idee, die echte Bewegung gemacht hat.

Da der Kommunismus noch nicht existiert, ist jede spezifische Erfahrung spekulativ. Aber solange es sich um eine echte Bewegung handelt und es frühere gescheiterte Erfahrungen in den letzten 40 Jahren gibt, dann gibt es allgemeine Tendenzen, die man präzisieren kann, sowohl von dem, was vorhergesagt werden kann, als auch von dem, was nicht mehr versucht werden sollte. Dies sollte die einzige intellektuelle und moralische Beziehung zu den Erfahrungen der gescheiterten, besiegten oder unvollendeten Revolutionen der letzten 150 Jahre sein: das Verständnis der praktischen Erfahrungen, die nicht zum Kommunismus führen, und jener Handlungsweisen, die helfen können, die Tendenzen der kommunistischen Zukunft zu verstärken.

Individuell-gesellschaftliches Eigentum

Eine der großen Herausforderungen im Kampf für den Kommunismus im letzten Jahrhundert war der Gedanke, dass der Weg, den Kapitalismus mit seiner Logik des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln und der Ausweitung der privaten Aneignung von gesellschaftlichem Reichtum zu überwinden, darin bestand, das staatliche Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln einer Gesellschaft einzuführen. Alle Revolutionen des zwanzigsten Jahrhunderts zeigten, dass auf diese Weise im Wege des Übergangs eine der Bedingungen für die Ausbeutung der Arbeit der untergeordneten Klassen beseitigt wurde. Zweifellos wird mit der Verstaatlichung des Eigentums an den Produktionsmitteln in den Händen des Staates die materielle Grundlage der ökonomischen Macht der ehemaligen herrschenden Klassen geschwächt und damit natürlich auch deren politische Macht, die mit dieser Wirtschaftsmacht verbunden ist. Vorübergehend kann dies eine bessere Organisation der subalternen Klassen und wirtschaftliche Ressourcen für neue Maßnahmen ermöglichen, aber dies führt nicht zu einer neuen Produktionsbeziehung, sondern spaltet nur die juristischen Eigentumsverhältnisse ab, die in den Händen einer öffentlichen Institution, des Staates, bleibt; die Aneignungs- und Kontrollverhältnisse gehen in andere Hände über, die ebenso verschieden und getrennt von den direkten Produzenten selbst sind.

In seiner klassischen Form vereint das private kapitalistische Eigentum drei Dinge: das rechtliche Eigentum an den Produktionsmitteln, die Aneignung des wirtschaftlichen Überschusses und die direkte und indirekte Kontrolle über die Nutzung und den Konsum der Produktionsmittel. Die Verstaatlichung suspendiert das juristische Eigentum, jetzt des Staates, das Grenzen für die rechtliche Gestaltungsfreiheit der Produktionsmittel setzt, aber die Aneignung des wirtschaftlichen Überschusses und die Kontrolle des Arbeitsprozesses bleibt von den Arbeitern getrennt. Die Verwendung des Überschusses geht nun auf die Entscheidung der staatlichen Verwaltungen über, die Einschränkungen in Bezug auf ihren Ermessensspielraum bezüglich Genuss und Verteilung dieses Überschusses haben. Sie unterliegen bestimmten sozialen Kontrollen durch die Öffentlichkeit. Aber die Steuerung des Produktionsprozesses bleibt von den Arbeitern getrennt und abgespalten, wodurch die objektiven Bedingungen der Entfremdung der Arbeit, der Autonomie und der Macht der Produktionsmittel über den Arbeiter selbst erhalten bleiben.

Verstaatlichung hebt das Wertgesetz nicht auf

Daher hebt die Verstaatlichung das Wertgesetz nicht auf, und deshalb werden die materiellen Bedingungen des Kapitalismus früher oder später aus dem Staat selbst reproduziert. Deshalb ist es nach dem Moment der sozialen Katharsis, der eine Kontrolle und einen gesellschaftlichen Konflikt über den staatlichen Überschuss und die Arbeitsmittel selbst zulässt, unvermeidlich, dass es allmähliche Privatisierungsprozesse des Öffentlichen, des öffentlichen, wirtschaftlichen Überschusses geben wird, so dass die juristische Privatisierung nur eine Frage der Zeit ist. Daher muss eine neue Form von Eigentum, die privates kapitalistisches Eigentum überwindet und den kapitalistischen Produktionsprozess transformiert, notwendigerweise über den Staat hinausgehen und das innere Gefüge des unmittelbaren Arbeitsprozesses selbst beeinflussen, die direkte Kontrolle der Arbeiter über die Produktionsbedingungen wiederherstellen, wie in den alten Agrargemeinschaften, nur jetzt auf gesellschaftlicher Ebene, sowie das Verhältnis zwischen Arbeitsprozessen auf regionaler, nationaler und weltweiter Ebene als eine einzige planetarische Arbeitskraft verändern.

Marx nennt dies eine individuell-gesellschaftliche Produktion, assoziierte freie Arbeit usw., bei der die Arbeiter mit den Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht wurden und zum anderen in der zunehmend universellen gesellschaftlichen Qualität, die die Arbeitsbedingungen haben. Natürlich werden im Kapitalismus jeden Tag Arbeitsmittel, Wissen, Technologie als ein universelles gesellschaftliches Produkt präsentiert, zu dem die ganze Menschheit etwas zu seiner Entstehung beigetragen hat, aber die Kontrolle über diese gesellschaftlich konstruierten Produktionsmittel - der Befehl zur Nutzung dieses gesellschaftlich konstruierten Wissens - ist privat, und die Nutzung des von ihr erzeugten Reichtums ist privat. Es ist also vernünftig zu denken, dass sich diese private Hülle als miserable und erstickende Maßnahme gegen ihre gesellschaftliche Potentialität darstellt, und deshalb ist es eine Aufgabe der Bewegung zum Kommunismus, diese private Beschränkung zu brechen, um ihren universellen menschlichen Inhalt zu befreien.

Wir wissen nicht, wie diese konkreten Formen der Emanzipation der Produktion aussehen werden, nur die Praxis kann sie sichtbar machen. Klar ist nur, dass der Versuch, diese gesellschaftlichen Kräfte durch staatliches Eigentum zu befreien, gescheitert ist. Es ist daher notwendig, andere Wege des möglichen Handelns für die Emanzipation dieser universellen Kraft zu erschließen. In diesem Sinne ist der Kommunismus auch die reale Bewegung dieser Suche und dieses historisch-kollektiven Experiments.

Drei weitere Komponenten eines möglichen Kommunismus

Zweite Komponente eines möglichen Kommunismus: Gebrauchswert über den Tauschwert.

Im Kapital zeigt Marx in dem aufschlussreichen ersten Kapitel, dass die Bestimmung der Arbeitszeit als Maß für die universelle Austauschbarkeit der Produkte der menschlichen Arbeit den fundamentalen Kern der kapitalistischen Ordnung bildet. Diese Kommerzialisierung der menschlichen Beziehungen, die Form des Wertes, die Form der Ware, ist weder ein Produkt des Marktes noch der abscheulichen konsumistischen Einstellungen der Menschen, sie ist eine unmittelbare Folge der Art und Weise, wie die Menschen mit den Bedingungen der gesellschaftlichen Produktion verbunden sind.

Der Fetischismus der Ware, dass die Sachen die Menschen dominieren, dass die Macht der gesellschaftlichen Arbeit sich als externe und feindliche Macht gegenüber den Arbeitern präsentiert, ist das Ergebnis der Form der Konkurrenz der Arbeitstätigkeit, der die vereinzelten Produzenten unterliegen, die sich als Kräfte außerhalb des Arbeiters selbst darstellen. Die Form des Tauschwertes, die Warenform, die die Poren der Gesellschaft blockiert, hat ihren Ursprung in der Vereinnahmung des Arbeitsprozesses durch diese Wertform der Konkurrenz und des Verbrauchs der Arbeitsmittel.

Wie kann man den Tauschwert, die Wertform als Maß für die Tauschbarkeit zwischen von Menschen erzeugten Produkten überwinden und wie werden diese konkreten Formen der Assoziation aussehen? Wir wissen es nicht. Was wir aus gescheiterter Erfahrung wissen, ist, dass staatliches Eigentum die Wertform des Produktionsprozesses intakt lässt. Die Überwindung der Warenform, der Tauschwertform muss ein Entwicklungsprozess der direkten Produzenten selbst sein, aus den unmittelbaren Produktionsprozessen selbst. Formen der Selbstorganisation von Arbeitsplatzsystemen, wo die Arbeiter selbst Nutzen aus dieser gemeinsamen Anstrengung ziehen können, aber gleichzeitig assoziierte Arbeit zwischen verschiedenen Arbeitsplatzsystemen auf nationaler und dann regionaler Ebene; Souveränität und Kontrolle innerhalb des Arbeitsprozesses durch den Arbeiter selbst über die Arbeitsbedingungen, allgemeinere Ausgestaltung zwischen den verschiedenen Arbeitsprozessen, transparentere soziale Aneignung dieses nationalen und dann weltweiten Produkts durch die gesamte Gesellschaft usw. Schließlich geht es darum, vielfältige und direkte Wege zu finden, um private Produktion, private Mittel, privaten Überschuss, private Kontrolle in der Produktion, in Kontrolle und gesellschaftlichen Überschuss der assoziierten Produzenten selbst und in Allianz mit dem Rest der Gesellschaft umzuwandeln.

Dritte Komponente: gesellschaftliche Freiheit

Es ist ein Marx-Konzept aus dem Manuskript 1844. Der erneuerte Kampf für den Kommunismus findet seine moralische Rechtfertigung in der Suche nach der wirklichen Lösung für Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, einschließlich Kolonisierungen, Rassismus und Patriarchalismus, die ununterbrochen vom Kapitalismus produziert werden. Absolute Gleichheit und Gerechtigkeit sind daher notwendigerweise Fahnen des Kommunismus.

Ebenso ist der Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung, der Motor von Ungerechtigkeit und Ungleichheit, ein radikales Banner des Kommunismus. Doch der Freiheitskampf der letzten 100 Jahre wurde nicht als Banner des Kommunismus verstanden und sollte es sein. Im Allgemeinen haben die Kommunisten diese Flagge den liberalen Strömungen übergeben, die den Begriff der Freiheit gegenüber der bloßen Freiheit des Handels, der privaten Bereicherung oder der Unterdrückung eines Volkes gegenüber anderen einschränken und verstümmeln. Aber es gibt eine artikulierte absolute Freiheit der Gleichheit: Es ist das, was Marx gesellschaftliche Freiheit nennt, in der die freie Entwicklung jedes Menschen zur freien Entwicklung anderer beitragen muss, in der die Macht und Potenzen jedes Menschen die freie Assoziation mit dem Rest der Menschheit fördern sollen.

Weder der Staat noch das Unternehmen oder der Markt sind Wahrer und Garant für diese freie Entwicklung der Individualität. Es ist die freie Vereinigung der Menschen, die die freie Entwicklung ihrer individuellen Fähigkeiten ermöglicht. Unter diesen Bedingungen sind die freie Assoziation von Personen, die in den letzten Jahrhunderten angesammelten bürgerlichen Freiheiten nur ein kleines Kapitel einer Unendlichkeit von Freiheiten und Fähigkeiten, die der Kommunismus für seine Verwirklichung benötigt. Tatsächlich sind der Kommunismus oder die Kommunismen - man muss von Kommunismen sprechen - ohne diesen Einsatz der seit dem 16. Jahrhundert angesammelten bürgerlichen Freiheiten und der neuen assoziativen Freiheiten, die sich in einem Erbe gemeinsamen Handelns zusammensetzen, undenkbar.

Diese Aussage ist nicht unschuldig, es ist kein einfaches Spiel mit poetischen Wörtern, sie hat Auswirkungen in der Tradition der Linken.

Ich erwähne zwei.

Erstens: dass die verschiedenen Formen der sozialen Demokratisierung, von der Versammlungsfreiheit, dem Parlamentarismus, der direkten Demokratie, der kumulativen Demokratie, der interkulturellen Demokratie usw., einen flexiblen Teil eines konzentrischen Kreises bilden, der darauf abzielt, die individuelle und damit verbundene Beteiligung an allen Entscheidungen in allen Fragen des gesellschaftlichen Lebens, des politischen Lebens, des Wirtschaftslebens, des Produktionslebens, aber auch des Familienlebens, des Körpers und so weiter zu erweitern. In diesem Sinne kann der Kommunismus als ein Prozess der radikalen Demokratisierung verstanden werden, der alle Lebensbereiche demokratisiert, beginnend mit der Produktion von Reichtum, um eine wirkliche Gleichstellung der Menschen zu gewährleisten. So ist Freiheit eine Möglichkeit, Gleichheit zu konstruieren.

Zweitens gibt es kein einheitliches organisatorisches Instrument des Kampfes für den Kommunismus. Parteien, Gewerkschaften, Sowjets, Verbände, autonome Kollektive, soziale Bewegungen sind zufällige und lokale Formen einer einzigen Bewegung für die universelle Gemeinschaft. Keine Organisationsstruktur ist besser als die andere. Und in der Praxis, wo kollektive Aktionen der subalternen Klassen entstehen, zeigen sie immer die Fähigkeit, verschiedene und neue Organisationsformen zu schaffen und zu innovieren, die in der Lage sind, ihre soziale Energie zu bündeln.

Die Realität zeigt, dass soziale Klassen nur in Büchern als reine territorial definierte Konglomerate, die demographisch quantifiziert und soziologisch charakterisiert sind, existieren. Diese Art des Verständnisses sozialer Klassen existiert nur in Büchern und in statistischen Wahrscheinlichkeiten. Die wirklichen sozialen Klassen sind hybrid, überlagert, bunt gemischt und erst im Prozess des Kampfes konstituieren sie sich durch Ähnlichkeiten, kulturelle Artikulationen und die Mobilisierung diskursiver Konstruktionen.

In dieser Möglichkeit des Handelns werden Grenzen überschritten, Führungen gebildet, Aufrufe zur Mobilisierung herausgegeben, die zu mobilisierten Klassen, Führern und Hegemonie führen. Effiziente Organisationsformen sind daher immer eine Unsicherheit, die bei der Entwicklung der Bewegung selbst gelöst wird. Was andere bisherige Organisationsformen tun können: Die Gewerkschaften, die Parteien, sollen aus kommunistischer Sicht die Bewegung dieser neuen assoziativen und demokratisierenden Formen erleichtern, unterstützen und fördern.

Vierter Punkt: Stoffwechsel ist Mensch-Natur.

Der Kapitalismus als Teil seines Prozesses der entfremdeten Arbeit hat die Trennung, die Entfremdung der Natur in Bezug auf den Menschen und die menschliche Tätigkeit gefördert. Im Kapitalismus wird sie als eine leblose Sache und damit als etwas behandelt, das dem Prozess des unternehmerischen Gewinns unterworfen werden muss.

Der Widerspruch Mensch - die Natur ist ein dem Kapitalismus innewohnender Widerspruch, der es ihm erlaubt, sich die Natur als ein weiteres Mittel zur Erlangung privater Gewinne zu unterwerfen, so wie der Arbeiter für den Kapitalismus nur eine Sache ist, die er beherrscht, um unbezahlte Arbeit zu gewinnen, so ist die Natur auch eine andere Sache, um seine lebenswichtigen Kräfte zu nutzen, um mehr Gewinne zu erwirtschaften.

Dieselbe Wissenschaft, die nur das gesellschaftliche Verständnis der inneren Bewegung der Natur ist, wird im Kapitalismus entwickelt, um sie sofort zu verstümmeln und das Wissen zu behalten, das zu privaten Zwecken manipuliert werden kann.

Es geht um die Verbesserung der Mechanismen der Unternehmensakkumulation, um von den Auswirkungen der Umweltkatastrophe selbst zu profitieren und von den Völkern der Dritten Welt, die über Wälder und biologische Vielfalt verfügen, einen gewissen ökologischen Mehrwert zu erheben. Nur der Kommunismus kann die wissenschaftliche Produktion, den Gesamtintellekt, von der am weitesten entwickelten Form der universellen gesellschaftlichen Produktion, von der Unterwerfung unter den Profit befreien und sie dann für die erweiterte Reproduktion der biologischen Vielfalt zur Verfügung stellen und den gegenseitig lebensspendenden Stoffwechselaustausch zwischen Mensch und Natur wiederherstellen.

So wie die universelle Gemeinschaft der freien Individuen die Entwicklung der freien Individualität erfordert, so erfordert die respektvolle Gemeinschaft zwischen Mensch und Natur, die die Reproduktion des Lebens in all seinen Formen - einschließlich des menschlichen Lebens - auf universeller Ebene ermöglicht, die Beziehung zwischen Mensch und Natur als lebendigen Teil ihrer eigenen sozialen Körperlichkeit. Um den jungen Marx zu umschreiben: Eine respektvolle und nachhaltige Humanisierung der Natur kann nur durch eine Naturalisierung des Menschen selbst erfolgen.

Kurz gesagt, der Kommunismus ist eine Möglichkeit für eine andere Zukunft als der Kapitalismus, die wächst, wenn ein kollektiver Wunsch nach Kommunismus wächst, der fähig ist, sich auf die wachsenden materiellen Möglichkeiten dieses gewünschten Kommunismus zu verlassen.

28. Mai 2019

Der Text wurde von der Vizepräsidentschaft Boliviens verbreitet und von América XXI veröffentlicht.

Eigene Übersetzung aus dem Spanischen.

 

Anmerkungen

[1]  Performativ bezeichnet eine "Sprachhandlung" - d.h. eine Handlung die durch das Sprechen selbst geschieht. Sprache bezeichnet hier nicht nur - die performativen Sprechakte entfalten sozusagen "materielle Wirkungen" das heißt, sie stellen etwas in dem Moment her, in dem sie es bezeichnen. Performativen Äußerungen sind nicht wahr oder falsch, sondern können glücken oder missglücken.
siehe https://www.performativ.de/ oder Wikipedia

[2] John Langshaw Austin, britischer Philosoph und der Begründer der Sprechakttheorie