Der Kommentar

palestina marwan-barghuthiGeschrieben aus dem Hadarim-Gefängnis, Israel:  
Nachdem ich die letzten fünfzehn Jahre in einem israelischen Gefängnis verbracht habe, bin ich sowohl Zeuge als auch Opfer des illegalen israelischen Systems von willkürlichen Massenverhaftungen und Misshandlungen von palästinensischen Gefangenen. Nach Ausschöpfung aller anderen Optionen beschloss ich, dass es keine andere Wahl gibt, um diesen Misshandlungen zu widerstehen, als zu einem Hungerstreik überzugehen.

Rund 1.000 palästinensische Gefangene haben beschlossen, an diesem Hungerstreik teilzunehmen, der heute beginnt, an dem Tag, den wir hier als "Tag der Gefangenen" begehen. Ein Hungerstreik ist die friedlichste Form von Widerstand. Er bringt Leiden nur für jene, die daran teilnehmen, und deren nahe Angehörige, in der Hoffnung, dass ihre leeren Mägen und ihr Opfer helfen werden, dass ihre Botschaft über die Grenzen ihrer dunklen Zellen hinaus gehört werden.

Jahrzehnte an Erfahrung haben bewiesen, dass das inhumane israelische System kolonialer und militärischer Besetzung darauf abzielt, den Geist der Gefangenen und der Nation, zu der sie gehören, zu brechen, indem ihnen Leiden an ihren Körpern zugefügt, sie von ihren Familien und Gemeinschaften getrennt, erniedrigende Maßnahmen unterzogen werden, um Unterwerfung zu erzwingen. Trotz solcher Behandlung werden wir nicht davor kapitulieren.

Israel, die Besatzungsmacht, hat das Völkerrecht in vielfältiger Form fast 70 Jahre lang verletzt, und doch ist ihm Straflosigkeit für seine Taten gewährt worden. Es hat schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen gegenüber dem palästinensischen Volk begangen, die Gefangenen, einschließlich Männer, Frauen und Kinder nicht ausgenommen.

Ich war erst 15 Jahre alt, als ich das erste Mal eingekerkert wurde. Ich war knapp 18, als ein israelischer Vernehmungsbeamter mich zwang, meine Beine zu spreizen, während ich nackt im Verhörraum stand, bevor er auf meine Genitalien einschlug. Ich wurde bewusstlos vor Qual, und der folgende Fall hinterließ eine ewige Narbe an meiner Stirn. Der Befrager verspottete mich danach, indem er sagte, dass ich mich niemals fortpflanzen werde, weil Leute wie ich nur Terroristen und Mörder zur Geburt verhelfen.

Wenige Jahre später war ich wieder in einem israelischen Gefängnis, einen Hungerstreik führend, als mein erster Sohn geboren wurde. Statt der Süßigkeiten, die wir üblicherweise verteilen, um solche Ereignisse zu feiern, händigte ich den anderen Gefangenen Salz aus. Als mein Sohn knapp 18 Jahre alt war, wurde er seinerseits verhaftet und vier Jahre in israelischen Gefängnissen eingesperrt.

Das älteste meiner vier Kinder ist nun ein Mann von 31 Jahren. Doch ich bin immer noch hier, diesen Kampf für die Freiheit fortsetzend mit tausenden anderen Gefangenen, Millionen Palästinensern und der Unterstützung von so vielen aus aller Welt. Wie groß ist die Arroganz der Besatzer und ihrer Hintermänner, die sie taub macht für die einfache Wahrheit: unsere Ketten werden zerbrochen werden, bevor wir es werden, weil es der menschlichen Natur entspricht, dem Ruf nach Freiheit zu folgen ohne Rücksicht auf die Kosten.

Israel hat fast alle seine Gefängnisse innerhalb Israels statt in den besetzten Gebieten errichtet. Damit hat es palästinensische Zivilisten unrechtmäßig und gewaltsam in Gefangenschaft überführt und diese Situation ausgenutzt, um Familienbesuche einzuschränken und den Gefangenen Leiden zuzufügen durch lange Transporte unter grausamen Bedingungen. Es verwandelte grundlegende Rechte, die nach internationalem Recht garantiert sein sollten – einschließlich einiger mühsam durch frühere Hungerstreiks gesicherter – in Privilegien, über die seine Gefängnisverwaltungen entscheiden, sie uns zu gewähren oder sie uns zu verweigern.

Palästinensische Gefangene und Inhaftierte haben Folter, unmenschliche und entwürdigende Behandlungen und medizinische Vernachlässigung erlitten. Einige von ihnen sind, während sie in Haft waren, getötet worden. Laut der letzten Berechnung des Palästinensischen Gefangenen-Clubs sind rund 200 palästinensische Gefangene seit 1967 infolge solcher Handlungen gestorben. Palästinensische Häftlinge und ihre Familien bleiben auch ein vorrangiges Ziel der israelischen Politik, kollektive Strafmaßnahmen zu verhängen.

Durch unseren Hungerstreik versuchen wir, diesem Machtmissbrauch ein Ende zu setzen.

In den letzten fünf Jahrzehnten sind laut der Menschenrechtsgruppe Addameer mehr als 800.000 Palästinenser von Israel eingekerkert oder inhaftiert worden – das entspricht etwa 40 Prozent der männlichen Bevölkerung der palästinensischen Territorien. Heute sind noch rund 6.500 eingekerkert, darunter einige, die die traurige Auszeichnung haben, Weltrekorde in längsten Haftzeiten von politischen Gefangenen zu halten. Es gibt kaum eine einzige Familie in Palästina, die nicht das Leid erlitten hat, die von der Einkerkerung eines oder mehrerer ihrer Mitglieder verursacht wird.

Wie ist dieser unglaubliche Stand der Dinge zu erklären?

Israel hat ein duales Rechtsregime, eine Form von justizieller Apartheid eingeführt, die praktisch Straflosigkeit für Israelis gewährleistet, die Verbrechen an Palästinensern begehen, während die Präsenz und der Widerstand der Palästinenser kriminalisiert wird. Israels Gerichte sind eine Justiz-Farce, klare Instrumente von kolonialer militärischer Besatzung. Laut dem State Departement liegt die Verurteilungsrate für Palästinenser bei den Militärgerichten bei fast 80 Prozent.

Unter den hunderttausenden Palästinensern, die Israel gefangen genommen hat, sind Kinder, Frauen, Parlamentsabgeordnete, Aktivisten, Journalisten, Menschenrechtsanwälte, Akademiker, Politiker, Kämpfer, Unterstützer, Familienmitglieder von Häftlingen. Und das alles mit einem einzigen Ziel: die legitimen Bestrebungen eines ganzen Volkes zu begraben.

Doch stattdessen wurden die israelischen Gefängnisse zur Wiege einer anhaltenden Bewegung für palästinensische Selbstbestimmung. Dieser neue Hungerstreik wird einmal mehr demonstrieren, dass die Gefangenen-Bewegung der Kompass ist, der unseren Kampf anführt, den Kampf für Freiheit und Würde, was wir als Name gewählt haben für diesen neuen Abschnitt auf unserem langen Weg zur Freiheit.

Die israelischen Behörden und ihre Gefängnisverwaltung haben grundlegende Rechte, die nach dem Völkerrecht garantiert sein sollten – einschließlich jener mühsam gesicherten durch vorhergehende Hungerstreiks – in Privilegien verwandelt, über die sie entscheiden, sie uns zu gewähren oder zu verweigern. Israel hat versucht, uns alle als Terroristen zu brandmarken, um seine Gewalttaten zu legitimieren, einschließlich massenhafter willkürlicher Festnahmen, Folter, Strafmaßnahmen und schwerer Einschränkungen. Als Teil von Israels Bemühungen, den palästinensischen Freiheitskampf zu untergraben, hat ein israelisches Gericht mich in einem politischen Schauprozess, der von internationalen Beobachtern verurteilt wurde, zu fünfmal lebenslänglichem und 40 Jahren Gefängnis verurteilt.

Israel ist nicht die erste Besatzungs- oder Kolonialmacht, die zu solchen Mitteln greift. Jede nationale Befreiungsbewegung in der Geschichte kann sich ähnlicher Praktiken erinnern. Deshalb stehen so viele Völker, die gegen Unterdrückung, Kolonialismus und Apartheid gekämpft haben, an unserer Seite. Die Internationale Kampagne zur Befreiung von Marwan Barghouti und aller palästinensischen Gefangenen, die das Symbol des Anti-Apartheid-Kampfes, Ahmed Kathrada, und meine Frau Fadwa 2013 aus der früheren Gefängniszelle von Nelson Mandela auf Robben Island heraus ins Leben gerufen haben, hat sich der Unterstützung von acht Friedensnobelpreisträgern, 120 Regierungen und hunderten von führenden Persönlichkeiten, Abgeordneten, Künstlern und Akademikern in der ganzen Welt erfreut.

Ihre Solidarität macht das moralische und politische Scheitern Israels deutlich. Rechte werden nicht durch einen Unterdrücker gewährt. Freiheit und Würde sind universelle Rechte, die der ganzen Menschheit gehören, deren sich jede Nation und alle Menschen erfreuen. Palästinenser können dabei keine Ausnahme sein. Nur durch die Beendigung der Besatzung wird dieses Unrecht enden und die Geburt von Frieden kennzeichnen.

 

Übersetzung aus dem englischen: Georg Polikeit
Quelle:  https://www.nytimes.com/2017/04/16/opinion/palestinian-hunger-strike-prisoners-call-for-justice.html


19.04.2017


siehe auch

 

Artikel bei kommunisten.de:

 

Wir sprechen über Palästina

Gazakrieg Grafik Totoe 2024 04 07

mit Rihm Miriam Hamdan von "Palästina spricht"

Wir unterhalten uns über den israelischen Vernichtungskrieg, die Rolle Deutschlands, die Situation in Gaza und dem Westjordanland und den "Tag danach".

Onlineveranstaltung der marxistischen linken
Donnerstag, 18. April, 19 Uhr

https://us02web.zoom.us/j/82064720080
Meeting-ID: 820 6472 0080


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Logo Ratschlag marxistische Politik

Ratschlag marxistische Politik:

Gewerkschaften zwischen Integration und Klassenkampf

Samstag, 20. April 2024, 11:00 Uhr bis 16:30 Uhr
in Frankfurt am Main

Es referieren:
Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie, Uni Göttingen
Frank Deppe, emer. Professor für Politikwissenschaft, Marburg

Zu diesem Ratschlag laden ein:
Bettina Jürgensen, Frank Deppe, Heinz Bierbaum, Heinz Stehr, Ingar Solty

Anmeldung aufgrund begrenzter Raumkapazität bis spätestens 13.04.24 erforderlich unter:
marxlink-muc@t-online.de


 

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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