Der Kommentar

migrants mediterranean zodiac28.04.2015: Er sollte etwas besonderes sein: der EU-Sondergipfel. Und er wurde es. Das Ergebnis dieses Treffens in Brüssel am 23.4.2015 muss als „wegweisend“ bezeichnet werden. Wegweisend für eine Politik, die darüber lamentiert, dass die Seenotrettung der Flüchtlinge im Vordergrund steht, aber genau diese Rettung weiterhin versagt und die Menschen gar nicht an die europäische Küste heranlassen will. Von einem „Gipfel der Schande“ spricht PRO ASYL und stellt fest „Die EU begeht einen Verrat an ihren Werten und an den Flüchtlingen.“ Appelliert wird an das EU-Parlament den gesamten EU-Haushalt solange zu sperren, bis eine zivile europäische Seenotrettung installiert wird.

Schon die Tagesordnung mit dem 10-Punkte-Programm ließ nichts Gutes ahnen, zumal es allesamt Punkte sind, über die in den vergangenen Jahren schon längst hätte beraten werden können. Neu ist das Thema „Flüchtlinge in der EU“ nicht. Gesetze wurden auch in der Vergangenheit, ohne Sondertreffen, einmütig gegen Flüchtlinge erlassen. Fast möchte man meinen, dass seit dem (vor)letzten großen Massensterben im Mittelmeer, im Oktober 2013 vor Lampedusa, nur auf einen Anlass gewartet wurde, um einen Sondergipfel zu dieser Frage mit großer Medienpräsenz durchzuführen. Doch Gipfeltreffen ohne Ergebnisse im Interesse der Mehrheit der Menschen, ob nun G7 oder EU, werden wohl zunehmen, um die Macht der Herschenden zu sichern.

Der Gipfel hat beschlossen, die Finanzierung der Frontex-Operation Triton zu verdreifachen – auf nun annähernd die Summe, die von Italien für Mare Nostrum zur Seenotrettung gezahlt wurde. Der Unterschied ist jedoch gravierend: Mare Nostrum wurde nur von einem einzigen Staat finanziert, es gehörte nicht zu einem Programm zur Abwehr von Flüchtlingen. Vor allem aber wurde auch die Rettung von Flüchtlingen im Hochseegebiet des Mittelmeers geleistet.

Diese Rettung ist nun vorbei, wenn die Boote die Fahrt ins europäische Gebiet nicht schaffen. Das Ertrinken wird kein Ende haben. Und die vielen Toten der letzten Wochen wären auch mit dieser „Hilfe“ nicht gerettet worden, denn sie starben auf Hoher See oder vor der Küste Libyens. Der Einflussbereich von Triton ist jedoch laut Italiens Innenminister Angelino Alfano festgelegt: "30 Seemeilen vor der italienischen Küste endet Europa, bis dahin helfen wir. Dahinter befinden sich die internationalen Gewässer und dort gilt das internationale Seerecht."

Immer deutlicher wird damit, dass der Beschluss einer Finanzierungszusage für die Operation Triton nichts mit der Rettung von Flüchtlingen zu tun hat. Auch Frontex-Direktor Fabrice Leggeri sagt unverblümt gegenüber dem Guardian am 22. April, dass Seenotrettung nicht die Arbeit von Frontex sei. Sein Vorgänger im Amt, Frontex-Direktor Ilkka Laitinen, gab bereits im Oktober 2013 zu, dass Frontex jährlich mehrmals Flüchtlingsboote im Mittelmeer abgedrängt und Flüchtlinge auch unter Androhung von Gewalt ohne Asylprüfungsverfahren abgeschoben hatte.

Über den Weg dieses EU-Sondergipfels wurde nun also eine Erhöhung des Budgets für Frontex beschlossen, um die EU-Außengrenzen noch weiter abzuschotten. Gestorben wird weiter – entfernt von den Küsten Europas.

Ein weiteres Gipfelergebnis ist die Umwidmung von Militäroperationen in Mali und im Sudan zur Grenzsicherung. Damit sollen Flüchtlinge bereits innerhalb der afrikanischen Transitstaaten abgefangen und daran gehindert werden, in die EU einzureisen.

In Malta soll demnächst ein Treffen der EU mit afrikanischen Staaten stattfinden. Ziel sollen Vereinbarungen zur Bekämpfung der Fluchthilfe sein, um angebliche „illegale“ Migration zu verhindern. Weiter ist auch die Frage von sogenannten „Auffanglagern“ auf dem afrikanischen Kontinent im Gespräch, wobei es hierzu, wie auch zu den angedachten militärischen Aktionen gegen Schlepper im Mittelmeer, keine Einigkeit in EU gibt. Der Schutz der Flüchtlinge, weder auf dem Weg nach oder in Europa, ist zweitrangig.

„Man konnte sich nicht einigen“ heißt es lapidar auf Fragen zur Situation der Flüchtlinge in der EU. Das heißt: Dublin III und die Abschiebepraxis bleiben bestehen. Dies entspricht der Aufforderung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière vom 17.4 an die Länder, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. Gleichzeitig nannte er die Aufnahme von Flüchtlingen eine „Beihilfe für das Schlepperwesen“.

Gegen diese Politik gibt es Protest! Viele Organisationen, vor allem die, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, nennen diesen Gipfel beim Namen: Gipfel der Schande! Gegen das Ergebnis dieses Gipfels gibt es Widerstand!

In vielen Städten finden Demonstrationen zur Solidarität mit den hier lebenden Flüchtlingen und gegen die weitere Abschottung statt. „Fähren statt Frontex“ ist eine der Forderungen, mit der die Überfahrt übers Mittelmeer sicherer wird.

Zu wünschen ist, dass alle die, die gegen Pegida und Co. auf die Straße gingen, nun auch die Demonstrationen und Kundgebungen gegen diese Flüchtlingspolitik der Regierenden unterstützen.

Text: Bettina Jürgensen, marxistische linke e.V.    Foto: zodiac


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