Der Kommentar

heinz_stehr22.01.12: Die Geschichte der BRD ist reich an Skandalen, Besonders wenn es um Bundespräsidenten geht. Heuss hatte nicht nur dem Ermächtigungsgesetz Hitlers als Reichtagsabgeordneter zugestimmt, er war in hohem Maße für die Spaltung  Deutschlands mitverantwortlich und er wirkte als scharfer Antikommunist. Der sogenannte „Papa“ Heuss sollte auch gegen den populären Wilhelm Pieck in der DDR in Stellung gebracht werden. KZ Baumeister Heinrich Lübke, der SA Mann Karl Carstens dokumentieren Kontinuitäten vom faschistischen Deutschen Reich zur BRD.

Wulff ist die Regel, Bundespräsident Gustav Heinemann war die Ausnahme. Die Bundespräsidenten entsprachen den gesellschaftlichen Realitäten ihrer Zeit, in der sie das „höchste“ Amt im Staate ausübten. In Zeiten des zugespitzten Antikommunismus waren Staatsoberhäupter mit Nazibiografie gefragt. In Zeiten möglicher gesellschaftlicher Veränderungen war Gustav Heinemann nötig um den Kapitalismus zu stabilisieren.

 

Christian Wulff bot für die entscheidenden politisch bestimmenden Teile des transnationalen Finanzkapitals die besten Voraussetzungen die Macht in ihrem Sinne zu gebrauchen. Charakterliche Mängel waren mit Sicherheit kein Hinderungsgrund für diese Entscheidung. Zu diesem System gehören Korruption, Durchstecherei und Bereicherung der ohnehin schon Reichen, ohne Rücksicht auf Moral und Anstand. Dieser Anspruch auf moralische Werte wird in Sonntagsreden, zu Weihnachten und Neujahr an die Bevölkerung gerichtet.

Der neoliberale Kapitalismus dieser Zeit ist verantwortlich:

Für Kriege, mit der Gefahr des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen.

Für weltweite Unterdrückung und Ausbeutung des übergroßen Teils der Menschheit.

Für Umweltkatastrophen , Hunger und Unterentwicklung. Für die Tatsache dass täglich mehr als eine Milliarde Menschen hungern müssen und Kinder an Hunger sterben.

Für Rassismus und Chauvinismus.

Zu diesem System gehören Demokratieabbau, Korruption und Verfall jeglicher menschlicher Werte.
Wulff ist ein „würdiger“ Vertreter dieser Machtstrukturen.

Angesichts dieser Situation muss uns die Frage beschäftigen: was bedeuten diese gravierenden Veränderungen in diesem Prozess des Übergangs des bisherigen Kapitalismus zu jenen Kräften die stärker auf diktatorische Formen der Machtausübung des Finanzkapitals setzen? Die tief greifenden Krisen dieser Zeit signalisieren Umbrüche im kapitalistischen Gesellschaftssystem. Regierungen, staatstragende Parteien – ja der gesamte Überbau des Staates soll entsprechend dem Interessen der entscheidenden Teile des Großkapitals verändert werden. Die Affäre Wulff signalisiert vor allem neue Gefahren für Rechtsentwicklungen. Konkret heißt dies: weiterer Demokratie – und Sozialabbau und verstärkte Repressionspolitik nach außen und innen. Politische Strukturen im Bund und in den Ländern, in Regional- und Ortsparlamenten werden vorwiegend zur Umsetzung von Sparprogrammen missbraucht.

Die größte Medienmacht dient vor allem der Propaganda für die  Ziele des Kapitals. Die Bild Zeitung ist die Speerspitze ultrakonservativer reaktionärer Medienmacht, sie wird durch die Darstellung des Wulff-Skandals nicht nur ihre Auflage erhöhen, sondern auch den eigenen politischen Stellenwert erweitern. Der Umgang mit Wulff, die Profilierung als Wächter moralischer und sittlicher Werte, ist der weitere Versuch der Bildzeitung und des Springerkonzerns ihre Macht durch so genannte Leitmedien zu festigen.

Die Skandalisierung dieser im Kapitalismus normalen Korruption dient auch zur Ablenkung von den gravierenden politischen und ökonomischen Problemen dieser Zeit. Möglich, dass Wulff in dieser Situation als  „Bauernopfer“  benötigt wird. Ein Aspekt der Kampagne um Wulff  ist  auch vor dem Hintergrund seiner Äußerungen zur Migration und des Islams in der BRD - Gesellschaft zu verstehen. Das war aus der Sicht rechter Kreise ein unzulässiger Tabubruch der „bestraft“ werden muss!

Der Wulff Skandal zeigt noch einmal nachdrücklich die Krise des parlamentarischen Systems in der aktuellen Verfasstheit und der sie tragenden Parteien. CDU/CSU, SPD, FDP, diese Parteien verlieren massenhaft Mitglieder und Wählerinnen und Wähler. An Wahlen beteiligen sich tendenziell immer weniger Menschen. Das Wahlsystem erreicht oft nur noch 50% der Bürgerinnen und Bürger. Dies ermöglicht den Reaktionären, rechten Populisten, Neonazis aller Schattierungen neue Spielräume zu nutzen.

Sarrazin, Gauweiler, Merz, Guttenberg und Koch – die Vertreter wichtiger Unternehmerverbände wollen eine andere Republik, eine die den neoliberalen Verhältnissen umfassend entsprechen soll. Das Grundgesetz ist trotz der bereits vielseitig vollzogenen Veränderungen ein Hindernis dabei, daher die Forderungen zur Veränderung der Verfassung.

Für die Forderung nach Rücktritt von Wulff Aktionen durchzuführen wäre folgenlos, nach Lage der Dinge käme dann der antikommunistische “Widerstandskämpfer“ Pastor Gauck - oder jemand ähnlichen Kalibers in dieses Amt. Rücktrittsforderung müssen verbunden werden mit Forderungen nach einem tatsächlichen Politikwechsel zu progressiver Politik.

Veränderungen brauchen Bewegungen, die massenwirksam sind und durchsetzungsfähig werden. Die Chance, diesen Prozess zur Stärkung progressiver Kräfte zu nutzen, ist höchstens in Ansätzen zu erkennen. Nur wenn Bezugspunkte und Hintergründe erkennbarer werden, kann es zur Profilierung linker Politik durch konkrete alternative Forderungen beitragen. Ein grundsätzliches Problem ist, dass der Linken ein massenwirksames gesellschaftspolitisches Projekt fehlt, für das man gemeinsam eintritt und kämpft. So ein Zukunftskonzept kann Bewegten und Bewegungen Orientierung geben und Kraft vermitteln.

Als Kommunistinnen und Kommunisten, die Mitglieder der DKP sind, müssen wir in dieser Situation einen wirkungsvolleren Beitrag leisten, Z.B. durch die öffentliche Darstellung unseres Programms und der Beschlüsse des 19. Parteitages (Politische Resolution und Aktionsorientiertes Forderungsprogramm) und die Initiierung von mehr Bewegung bzw. der Beteiligung daran.

Heinz Stehr