Der Kommentar

13.10.2010: Als Ich die Ergebnisse der Wahlen und Abstimmungen dieses Parteitags wahrnehmen konnte, war meine erste Reaktion: Die DKP hat sich verändert. Meine zweite Reaktion war: Das ist falsch! Die Partei hat sich nicht verändert. Der Parteitag hat nur gezeigt, wie sie wirklich ist. Sie ist ganz offensichtlich anders als die alte Parteiführung, jene vor dem 19. Parteitag, annahm und auf welcher Grundlage sie auch handelte. Es gibt in der Partei derzeit zwei ungefähr gleich starke Kräfte mit verschiedenen Konzeptionen.

Was diese Situation anbetrifft, sehe ich einen wesentlichen Unterschied zu den Auseinandersetzungen zwischen selbst ernannten "Erneuerern" und den von diesen so benannten "Betonköpfen" (zu denen ich gehörte) um die Wende 1989/90. Der Unterschied besteht darin, dass -nach meiner Wahrnehmung damals - die "Erneuerer" nicht um die Aufrechterhaltung der Einheit der Partei bemüht waren. Der Gorbatschow-Fusel hatte die Bedingungen für den Erhalt der Einheit der Partei zerstört.

Das ist jetzt anders: Beide Kräfte wollen die Einheit der Partei bewahren - und dann müssen eben auch beide - ich wiederhole: beide Seiten sich darum bemühen, die dazu nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Dass dazu die ehrliche selbstkritische Analyse des Wegs gehört, der zur jetzigen Lage geführt hat, wäre wohl eine erste Voraussetzung für die Bemühungen, die Einheit der Partei auf theoretisch und politisch geklärten Grundlagen herzustellen.

Dazu gehört aber auch, sich darüber klar zu werden, dass solchen Ereignissen, wie sie den 19. Parteitag prägten, eine Inkubationszeit vorausging. Man erinnere sich: Es gab doch schon im Prozess der Erarbeitung des Parteiprogramms eine jahrlange Diskussion. Die dabei aufgetretenen Differenzen konnten nicht oder nicht völlig geklärt werden. Das spiegelt sich auch im Parteiprogramm selbst. Es wäre nötig gewesen, wenigstens zu versuchen, diese Differenzen aufzulösen oder zu vermindern. Das ist leider nicht geschehen. Vielleicht wollte man den damit verbundenen durchaus nicht einfachen theoretischen Problemen ausweichen. Oder man glaubte, man müsse nur lange genug warten, dann werden sich die Gemüter beruhigt haben. Im Vertrauen darauf und durchaus auch mit vorbereitenden Schritten wurde versucht, die Auffassungen eines Teils der Partei mittels "Thesen" (ich kürzere hier deren Titel ab) zu den Bestimmenden zu machen. Das ist gescheitert, weil es eben auch die Kräfte der anderen Auffassungen gab und gibt - und eben das hat sich auf dem Parteitag, in seinen Ergebnissen, mit aller Deutlichkeit gezeigt.

Ich muss hier auf eine Missdeutung meiner Position verweisen: Ich habe zu keinem Zeitpunkt gefordert, die "Thesen" zurück zu ziehen, sie nicht zu diskutieren. Die Tatsache, dass diese "Thesen" zu beträchtlichen Regungen und Erregungen in der Partei führten, verweist doch darauf, dass es völlig verkehrt wäre, der Diskussion der Probleme, die diesen Regungen und Erregungen zugrunde liegen, durch Diskussionsverweigerung aus dem Weg zu gehen. Flucht vor der Diskussion von die Partei aufwühlenden Themen lässt doch den Schluss zu, dass man den eigenen Argumenten nicht vertraut oder gar keine hat. Aber der Parteitag hat gezeigt, dass es Klärungsbedarf erheblicher Art gibt, und die veränderte Zusammensetzung der führenden Organe der Partei öffnet die Möglichkeit zur fairen Debatte. Aber es geht um faire Debatte, nicht um Trickserei! Und da sind beide "Seiten" gefordert. Beide müssen beteiligt und fähig zu einer solchen Debatte sein. Die jetzige Parteiführung muss dazu die Bedingungen schaffen.

Eine für das Jahr 2011 vorgesehene theoretische Diskussion sollte gerade über jene Grundprobleme geführt werden, deren ungeklärter Status in die Widersprüche der Partei mündete. Das sind etwa solche Fragen: Wie stehen wir zum Problem des Imperialismus? Imperialismus oder neoliberalistischer Kapitalismus? Welche Konzeption der Partei und der Bewusstseinsbildung leitet uns? Welche Auffassungen gibt es in der Partei zur Überwindung des Kapitalismus und zum Herankommen an den Sozialismus? Über den Sozialismus selbst?

Es ist nicht damit getan, diese Probleme zu benennen. Ich verwies schon auf ernste theoretische Aspekte der Probleme. Es hilft nichts, der Marxismus ist eine Wissenschaft, theoretische oder politische Probleme kann man nicht mit agitatorischen Mitteln, nicht auf der Grundlage allein von statistischen Materialien und Ähnlichem klären, historischer Erfahrungen sind zu berücksichtigen. Wenn angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung theoretische Grundlagen des Marxismus weiter entwickelt werden müssen, dürfen wir uns nicht mit der Berufung auf oder dem Zitieren früherer Positionen - auch dann nicht, wenn sie damals völlig zutreffend waren - aus der Affäre zu ziehen versuchen. Das alles sind keine leichten Aufgaben und bedürfen möglicher Weise einer längeren wissenschaftlich betriebenen Arbeit - aber billiger sind die nötigen Klärungen nicht zu haben.

Robert Steigerwald