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Syrien Daraa-Protest 2011 FreedomHouse29.05.2011:  Während gegen Libyen Krieg führende NATO- und EU-Führer entschlossen und zuversichtlich sind, diesen Krieg zu einem für sie günstigen Ende zu bringen - koste es auch, was es wolle - werden beim nächsten Opfer der imperialen Begierde - Syrien - noch die propagandistischen Messer gewetzt und die diplomatischen und politischen Vorbereitungen getroffen. Jedoch läuft bis jetzt nicht alles nach Plan.

Anfang der Woche hatte die EU wieder einmal und in klarer Verletzung der UN-Verpflichtung zur Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates 'Sanktionen' gegen Syrien verhängt. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen Syrien versuchten vier EU-Staaten voran zu bringen. Gleichzeitig, und hier nur beispielhaft für andere ähnliche Aktivitäten genannt, rührte etwa der Kriegstreiber Wesley Clark (ehemals NATO-Oberbefehlshaber und Mitverantwortlicher für den Krieg gegen Serbien 1999) die Trommel für Interventionen. Hinsichtlich Syrien lautet das (in einem Interview am 22.5. in 'Der Standard') so:

"Bashar al-Assad könnte das gleiche Schicksal wie Gaddafi ereilen, wenn er jetzt nicht seine Armee und Sicherheitskräfte unter Kontrolle bringt. Die geostrategische Bedeutung Libyens machen Öl und Menschen aus. Im Fall Syrien ist das geostrategische Gewicht ein völlig anderes: Wenn Assad dort einen humanitären Anlass für eine Aktion gibt, könnte die Entscheidung dafür durchaus beschleunigt werden, weil der Wert eines Wandels in Syrien als sehr hoch eingeschätzt wird."

Im Klartext: Es geht uns um Ressoucen und um Umsturz von Regimen zu solchen, die mit uns kooperieren, und es geht vor allem um 'unsere Interessen'. Zivilistenschutz, Demokratie oder Menschenrechte sind allenfalls 'Anlässe' für Interventionen. In einer 'Außenansicht' in der SZ vom 25. Mai formuliert Wolfgang Ischinger, der Leiter und Organisator der jährlichen Münchener 'Sicherheitskonferenz' das ganze ideologisch etwas strategischer aber genauso zynisch:

"Eine Intervention im Sinne der Schutzverantwortung mag aus noch so noblen Motiven angestrebt werden. Mangelt es an einem klaren Ziel, an den dafür notwendigen militärischen Mitteln oder an der Bereitschaft, den möglicherweise hochkomplexen Aufbau einer Gesellschaft nach einer Intervention mitzutragen, ist sie kaum zu rechtfertigen. ... Schließlich sollte jeder Einsatz aus deutschen und europäischen Interessen abgeleitet werden können." Und um die Kurve für die ideologische Absicherung des Menschenrechtsmilitarismus zu kratzen, ergänzt er noch, dass "klugerweise"  in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien der BRD die "Wahrnehmung internationaler Verantwortung" und die "internationale Geltung der Menschenrechte" zu "sicherheitspolitischen Kernzielen" und zu "deutschen Sicherheitsinteressen" erklärt würden.

Doch war diese Woche eben nicht ganz so erfolgreich, wie solche Kriegspropagandisten es wohl gerne hätten. In der Schlusserklärung des G-8-Gipfeltreffens in Frankreich drohte man der syrischen Führung mit "neuen Maßnahmen", sollte die Gewalt gegen Demonstranten nicht enden. In einem ersten Entwurf der Gipfelerklärung waren zunächst noch "Aktionen im UN-Sicherheitsrat" angedroht wurden. Aber aus Diplomatenkreisen verlautete die Befürchtung, Russland könne sich einem Verweis auf den UNO-Sicherheitsrat widersetzen. Der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow sagte am Rande der Beratungen in Deauville, die Lage in Syrien unterscheide sich "radikal" von der in Libyen. Einen von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Portugal am Donnerstag im UNO-Sicherheitsrat eingebrachten Resolutionsentwurf nannte Rjabkow "unnötig und schädlich". Der Ansatz dürfte also gegenwärtig wohl keine Erfolgschancen haben.

Unter solchen Voraussetzungen und den zu Grunde liegenden inländischen Widersprüchen in Syrien ist eine klare politische Orientierung keine einfache und alltägliche Aufgabe. Einen sinnvollen und überzeugenden Ansatz bietet eine Erklärung der Syrischen Kommunistischen Partei (geeinigt) vom 26. Mai, deren Umsetzung sicherlich kompliziert und zudem abhängig vom Wirken anderer Akteure in Syrien ist, die wir hier vollständig in eigener Übersetzung (englische Version s. Anlage) wiedergeben:

Die schlimmen Ereignisse in Syrien halten seit nunmehr zwei Monaten an. Sie brachen aus, als die Bevölkerung im Verwaltungsgebiet Daraa eine Protestbewegung mit lokalen Forderungen des Volkes in Gang setzte. Diese Bewegung warf Licht auf einige ernste Mängel im politischen Leben Syriens. Beispielhaft genannt seien: der anhaltende Ausnahmezustand, politische Aktivitäten der Regierenden, etc. Ferner machten diese Proteste auf die öffentliche Kritik aufmerksam, die ebenso mit den verschlechterten Lebensbedingungen wie mit den sozialen Zuständen zu tun hat, die Folgen des Wirtschaftsystems in Syrien sind. Dieses wandelt sich in eine freie Marktwirtschaft, mit sinkender Unterstützung und Hilfe für die Habenichtse im Lande, mit Abbau von Zuschüssen für Grundbedürfnisse und die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Produktion, der Beseitigung jeglicher Staatskontrolle des Außenhandels – eine Maßnahme, die nicht durch eine Weiterentwicklung der Industrie Syriens begleitet wurde. Zudem ist der Anteil der Arbeitslosigkeit besonders unter jungen Menschen gestiegen.

Das alles macht den Erlass von drei Gesetzen erforderlich: die Aufhebung des Ausnahmezustandes, die Auflösung des Gerichtshofes für Staatssicherheit und die gesetzliche Zulassung von friedlichen Demonstrationen.

Es wurden Komitees eingerichtet und beauftragt, Gesetze für Wahlen, Parteien und Medien zu entwerfen. Vorgesehen sind andere Richtlinien hinsichtlich sozialer und wirtschaftlicher Lebensbedingungen. Jedoch breiteten sich die Proteste, gestützt auf einige unverhältnismäßige Sicherheitsmaßnahmen, zu denen die Behörden in der Auseinandersetzung mit den auf den Straßen Protestierenden Zuflucht nahmen, auf andere Städte aus. Es gab etliche Opfer. Kaum war die Volksbewegung entstanden, wurde eine außerordentliche Kampagne der Massenmedien vieler arabischer und ausländischer Fernsehsender gestartet, die dabei die modernsten technologischen Mittel einsetzten. Enthalten waren dabei Fälschungen, Übertreibungen und psychologische Aufhetzung.

Besonders auffällig sind das Interesse der USA und die Sympathiebekundungen mit den syrischen Bürgern. Ungeachtet des ganzen Haufens von Lügen, lenkt so ein angebliches Mitfühlen von den Toten, der Zerstörung, den Kriegen und ethnischen Kämpfen ab, die besonders im Irak von den verschiedenen us-amerikanischen Regierungen verursacht und gesteuert wurden.

Syrien hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, den Plänen der USA im Nahen Osten entgegen zu treten und ihnen zu widerstehen. Diese Pläne zielen darauf ab, einen regionalen Raum zu gestalten, der den Bedürfnissen der arabischen Völker entgegensteht. Sie zielen darauf ab, den Rechten des palästinensischen Volkes Schläge zu versetzen, dem Recht auf Rückkehr, auf Selbstbestimmung und auf Bildung eines nationalen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt, wie auch dem Recht Syriens auf Rückgabe der besetzten Gebiete (Golanhöhen). Deshalb unterstützt unsere Partei die Standhaftigkeit Syriens gegen diese Pläne der USA. Dieser nationale und patriotische Standpunkt wurde durch die arabischen Völker, die kommunistische Bewegung und die nationalen Befreiungsbewegungen in der Welt unterstützt.

Wir haben bisher vertreten, dass der nationale politische Ansatz stark genug ist und durch externe Verschwörungen nicht nieder gemacht werden kann, egal wie machtvoll sie auch wären. Aber wir haben gewarnt, dass ein Anschlag auf das Land von innen heraus kommen könnte. Daher haben wir darauf bestanden, dass eine Politik des Widerstandes gegen das Ausland von einem entsprechenden inländischen Gegenstück begleitet sein sollte. Eine Missachtung dieses Sachverhaltes würde den Weg für internationale Hegemonialmächte ebnen, die Lage zu manipulieren, ihre Nase in unsere Angelegenheiten zu stecken und die Entwicklungen zum eigenen Nutzen umzuleiten.

Unsere Partei hat von Beginn an öffentlich bekannt gemacht, dass die Proteste und Demonstrationen von Volksmassen in Gang gesetzt wurden, deren politische Orientierung gegen Kolonialismus und alle Formen ausländischer Einmischung in syrische Angelegenheiten gerichtet ist. Jedoch gibt es auch Proteste gegen lokales ungerechtes Vorgehen von Sicherheits- und Regierungsbeamten in den Verwaltungsbezirken. Zusätzlich gibt es öffentliche Missstände, denen große Bereiche der syrischen Gesellschaft ausgesetzt sind. Unsere Partei hat gefordert, die Gewalt zu beenden, den gerechten Forderungen der Massen zu entsprechen, friedliche Demonstrationen friedlich zu behandeln, usw.

Aber wir haben auch gewarnt, dass einige - von externen, der nationalen Politik Syriens feindlichen Kreisen finanzierte und ermutigte - Verschwörer versuchen könnten, die Protestbewegung des Volkes auszunutzen, um ethnische Auseinandersetzungen zu entfachen und die nationale Einheit des syrischen Volkes durch Versuche zu zerstören, ein umfassendes Chaos zu verbreiten. Wir haben es nicht unterlassen, etliche Male zu warnen, dass die Regierung weitere Reformmaßnahmen veranlassen und so schnell wie möglich umsetzen solle. Wir haben deutlich gemacht, dass solche Maßnahmen auch die Wiederherstellung eines normalen und ruhigen Lebens in den Städten Syriens und eine Beendigung von Gewalt, Verhaftungen und unverhältnismäßigen Reaktionen von allen Seiten erfordern.

Der Verlauf der Ereignisse hat sich inzwischen verändert. Bewaffnete Banden zielen auf die Menschen in der Armee und bei der Polizei, es hat Plünderungen von öffentlichen und privaten Institutionen gegeben. Mehrere Soldaten und Zivilisten wurden getötet. Das normale Leben ist in mehreren Städten zum Stillstand gekommen. Das aggressive Vorgehen dieser Banden hat die friedliche Protestbewegung in den Hintergrund geschoben. Die Medien haben Filme gezeigt, in denen terroristische, fundamentalistische Gruppen zugaben, Geld und Waffen von externen Quellen erhalten zu haben, um Angriffe gegen das Sicherheits- und Polizeipersonal und deren Familien zu führen.

Die Syrische Kommunistische Partei (geeinigt) gab eine Erklärung heraus, die breite Unterstützung bei nationalen Kräften fand, in der die Abhaltung einer Nationalen Konferenz gefordert wurde, und dass an dieser Beratung alle politischen Parteien, einschließlich der nationalen inländischen Opposition Syriens, die Vertreter der Gewerkschaften Syriens, die intellektuellen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten und die Religionsvertreter teilnehmen sollten.

Aufgabe dieser Beratung wäre die Aufstellung eines nationalen Programmes mit dem Ziel, das Land auf den Weg einer umfassenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reform zu bringen, die helfen würde, ein neues demokratisches Syrien zu schaffen. Das wäre ein Staat der öffentlichen Freiheit für alle Bürger, für alle Teile der Zivilgesellschaft, wie etwa Parteien, Gewerkschaften und zivile Verbände. Es wäre ein Staat, der politischen Pluralismus und Versammlungs- und Meinungsfreiheit anerkennt, ein Staat der das öffentliche Leben von Vorschriften und Beschränkungen und den Vorgaben der ihm auferlegten Zensur befreit. Es wäre ein Staat, der den Bürgern erlaubt, ihre unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse im Rahmen von einmütigen Schlichtungen und friedlichem Wettbewerb kund zu tun, ein Staat, der Institutionen einrichtet, in denen alle Bürger einen Raum finden könnten, um Syrien wieder zum Leben zu erwecken, um die Würde seines Volkes zu mehren, um eine umfassende soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen, um die Interessen aller sozialen Schichten zu verteidigen, die Habenichts vor den Besitzenden, um die Standhaftigkeit unseres Landes im Angesicht von Plänen zur Unterwerfung zu festigen, und um den Kampf zur Befreiung der Golan-Höhen zu stärken.

Unsere Partei hat erklärt, dass die Syrer die Mängel der internen Lage richtig erkannt haben. Sie können ebenso diejenigen, welche politische, soziale und wirtschaftliche Reformen zur Stärkung des Landes im Inneren fordern, von denen unterscheiden, die versuchen, die Ereignisse zu manipulieren und Streitereien zu entzünden, die den Plänen der Feinde unserer Heimat nutzen.

Seit kurzem ist es ganz deutlich geworden, dass die französische und die us-amerikanische Regierung unter dem Vorwand von Einsatz für Demokratie als Drahtzieher imperialistischer Einmischungen aktiv sind. Neben ihnen betreiben die britische und die deutsche Regierung eine breite Medienkampagne gegen Syrien. Solch eine Kampagne wird auch durch die syrische ‚Opposition‘ betrieben, die im Ausland lebt und enge Beziehungen zu den us-amerikanischen und israelischen Plänen für die Region hält.

Unser Volk nimmt die externen Bedrohungen unseres Heimatlandes sehr ernst. Es ist einig im Widerstand gegen diese Gefahren, die in ihrem Bemühen zum Scheitern verurteilt sind, den Weg der nationalen Politik unseres Landes zu verändern: seine Opposition gegen die us-amerikanischen und israelischen Pläne; seinen Kampf zur Befreiung der Golan-Höhen; seine Unterstützung des Kampfes des palästinensischen Volkes zur Befreiung seines Landes und zur Gründung eines unabhängigen Nationalstaates mit Jerusalem als Hauptstadt; seine Unterstützung bei der Befreiung des Iraks von der us-amerikanischen Besatzung und des Süd-Libanons von der Besatzung Israels.

Es sei hervorgehoben, dass wir die festen und förderlichen Standpunkte von Russland und China bei der Abwehr der Bedrohungen und ihre volle Unterstützung Syriens in dieser Krise hoch einschätzen.

Nunmehr befindet sich unsere Partei mit anderen syrischen Parteien, mit Kräften der nationalen Opposition und mit verschiedenen Vertretern der Zivilgesellschaft in Beratungen, um unsere Vorschläge in die Praxis umzusetzen und insbesondere eine nationale Schlichtungskonferenz abzuhalten.

Hanin Nimr,
Erster Sekretär der Syrischen Kommunistischen Partei (geeinigt)

Text: hth  /  Foto: FreedomHouse (Protest in Daraa)