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Palestina al Uja Btselem 201117.05.2011: Zwei Tage nach dem Gedenken der Palästinenser an die Tragödie ihrer Nation bei der kolonialistischen Staatsgründung Israels - die Nakba - hat heute der amtierende Präsident Mahmud Abbas öffentlich gemacht, dass er die Staaten der UN auffordern werde, die Staatsgründung eines palästinensischen Staates im Rahmen der Grenzen von 1967 und unter Einbeziehung von Ost-Jerusalem zu unterstützen und diesen Staat in die UN aufzunehmen. Ob dies erfolgreich gelingt, wird sich noch zeigen müssen, denn nicht nur die imperialen Hauptstützen Israels haben deutlich gemacht, dass sie diesem Vorgehen ablehnend gegenüber stehen und es behindern und bekämpfen werden.

Unabhängig davon hat Israel eine Vielzahl von Fakten der weiteren Annexion von besetztem palästinensischem Gebiet und der ethnischen Säuberung geschaffen, die in ihrem Kern durchaus in gradliniger Nachfolge der gewaltsamen Vertreibung der Palästinenser aus ihren Wohn- und Lebensbereichen im Jahre 1948 stehen. Zwei aktuelle Berichte der letzten Tage dokumentieren zentrale Mechanismen und Aktionen dieser Politik Israels.

Mitte letzter Woche stellte das UN-Nothilfebüro Ocha in einem Bericht fest, dass Israels Politik in Ost-Jerusalem darauf abziele, die Palästinenser zu vertreiben. Letztere würden dort zunehmend isoliert und könnten grundlegende Rechte nicht wahrnehmen. "Maßnahmen wie die israelischen Sperranlagen zum Westjordanland beschränken die grundlegenden Bedürfnisse der Palästinenser wie etwa Bildung und Gesundheit", heißt es in dem Bericht. Auch das Recht, das eigene Viertel zu gestalten und zu entwickeln und seinen Wohnort innerhalb Ost-Jerusalems frei zu wählen, sei beschnitten. "Ost-Jerusalem, traditionell der Mittelpunkt des Gesundheitswesen, der Bildung, des sozialen und religiösen Lebens und der Wirtschaft der Palästinenser, ist inzwischen mehr und mehr vom Westjordanland und dem Gazastreifen isoliert." Es bleibe aber das Zentrum des palästinensischen Lebens. Der Bericht wies darauf hin: "Die Regierung Israels als Besatzungsmacht ist nach internationalem Recht verantwortlich für die Sicherung der Grundrechte in Ost-Jerusalem." Den Palästinensern müssten grundlegende Rechte wie Freizügigkeit, Arbeit, Wohnmöglichkeit, Gesundheit, Bildung und Religionsfreiheit zugestanden und gesichert werden.

Ausführlich behandelt auch ein zweiter aktueller Bericht der israelischen Menschrechtsorganisation B'Tselem die Verdrängungs- und Marginalisierungspolitik Israels in den besetzten Gebieten im Jordantal. Nachstehend die Zusammenfassung des Berichtes: 

Das Jordan-Tal und die Gebiete nördlich des Toten Meeres nehmen den größten Landesteil der Westbank (des von Israel besetzten West-Jordanlandes) ein. Das Gebiet hat eine Fläche von 1,6 Mio. Dunam, was 28,8% der Westbank ausmacht. 65.000 Palästinenser leben dort in 29 Ortschaften und geschätzte 15.000 Palästinenser leben in einigen Dutzend kleinen Beduinendörfern (einschließlich von fünf Außenposten).

Israel hat in dieser Region eine Herrschaftspolitik betrieben, die auf intensive Ausbeutung der Ressourcen abzielt. Diese ist erheblich umfassender als anderswo in der Westbank und beweist durch Fakten die Absicht, das Jordan-Tal und die Gebiete nördlich des Toten Meeres de-facto in den israelischen Staat einzugliedern. Israel hat vielfältige Mittel eingesetzt, um das meiste Land in diesem Gebiet unter seine Kontrolle zu bringen, wie nachfolgend beschrieben wird.

Tausende von Dunams von palästinensischen Flüchtlingen wurden diesen weggenommen, um auf ihnen die ersten Siedlungen zu errichten. Das begann bereits 1968 und breitete sich durch die ganzen 1970er Jahre aus. Dieses Vorgehen verletzte sogar die Militärvorschriften.

Mittels 'legaler' Manipulationen hat Israel den Umfang von 'Staatsland' in dieser Region so erhöht, dass 53,4% - das ist viermal so viel wie vor 1967 – inzwischen zu Staatsland geworden sind. Ferner erklärte Israel 45,7% des Gebietes zu militärischem Sperrgebiet, ungeachtet einer evtl. Lage nahe an Hauptverkehrswegen, am Rande von Baugebieten der Ortschaften oder des Ackerlandes und ungeachtet des Einschlusses von bebautem Ackerland von Ortschaften.

Israel hat etwa 20% des Landes jedem Zugang entzogen, indem es dies zu Naturschutzgebieten erklärte, obwohl nur ein kleiner Anteil für diese Zwecke entwickelt und Besuchern zugänglich gemacht wurde. Zwei Drittel der Naturschutzgebiete sind zudem militärische Übungs- und Schießzonen.

Israel hat im nördlichen Jordantal Land für die Trennmauer beschlagnahmt und hat 64 Felder von Landminen entlang des Laufes des Jordans angelegt. Die Armee selbst hält jedoch Landminen für Zwecke der Sicherheit nicht mehr erforderlich.

Durch solche Maßnahmen hat Israel 77,5% des Landes in diesem Bereich unter seine Kontrolle gebracht und verhindert so, dass Palästinenser dort bauen, es nutzen oder sich dort aufhalten können. 12% des Gebietes sind für (israelische) Besiedlung reserviert, darunter das gesamte Gebiet nördlich des Toten Meeres. Israels Politik hat die palästinensischen Lebensräume zerteilt und die palästinensischen Gemeinden dieser Region voneinander isoliert. In den letzten zwei Jahren hat die zivile israelische Verwaltung Strukturen der dortigen Beduinengemeinden zerstört, ungeachtet dessen, dass einige schon vor 1967 gegründet wurden.

Israel hat die Kontrolle über die Mehrheit der Wasserressourcen des Gebietes an sich gezogen und sie für die ausschließliche Nutzung durch die eigenen Siedler ausgewiesen.

Die meisten israelischen Wasserbohrungen in der Westbank – 28 von insgesamt 42 Bohrungen – liegen im Jordantal. Diese Bohrungen versorgen Israel mit mehr als 32 Mio. Kubikmetern Wasser pro Jahr. Das meiste davon ist für die israelischen Siedlungen bestimmt. Die gesamte jährliche Zuweisung von Wasser an die 9.400 Siedler der Region aus den Wasserbohrungen, dem Jordanwasser, wieder aufbereitetem Abwasser und aus künstlichen Wasserreservoiren beträgt 45 Mio. Kubikmeter. Das den Siedlungen zugeteilte Wasser ermöglichte ihnen, Methoden intensiver Landwirtschaft einzusetzen und das Land ganzjährig zu bebauen. Ein Großteil der Produkte wird dabei exportiert. Die Wasserzuteilung der Siedlungen dieser 9.400 Siedler macht ein Drittel der Wassermenge aus, die die 2,5 Mio. in der Westbank lebenden Palästinenser erhalten.

Israels Kontrolle über die Wasserressourcen in der Region bewirkte das Austrocknen einiger palästinensischer Wasserquellen und führte zu einem Abfall der Wassermenge, die aus anderen Brunnen und Quellen gewonnen werden kann. Im Jahre 2008 gewannen die Palästinenser 31 Mio. Kubikmeter Wasser, was im Vergleich zur Wassergewinnung des Gebietes vor dem israelisch-palästinensischen Zwischenabkommen von 1995 ein Rückgang um 44% ist. Dem Wassermangel geschuldet, waren die Palästinenser gezwungen, bebautes Ackerland aufzugeben und zum Anbau von wenig erträglichen Produkten überzugehen. Im Verwaltungsbezirk Jericho ist der Anteil des landwirtschaftlich genutzten Landes inzwischen mit 4,7% der niedrigste aller palästinensischen Verwaltungsbezirke des Westjordanlandes, die - im Vergleich - einen durchschnittlichen Nutzungsgrad von 25% erreichen.

Israels Kontrolle über das meiste Land dieser Region verhindert auch eine gleichmäßige Verteilung der Wasserressourcen zwischen den dortigen palästinensischen Gemeinden und sie verhindert die Lieferung von Wasser an die Gemeinden außerhalb der Region. Der Wasserverbrauch der Beduinengemeinden entspricht inzwischen der Wassermenge, die die Vereinten Nationen als die Minimalmenge zum Überleben in humanitären Katastrophengebieten angegeben haben.

Im Abkommen über die Erleichterung der Bewegungsfreiheit in der Westbank, welches 2009 vereinbart wurde, hat Israel die Beschränkungen für die Menschen im Jordantal trotz der ruhigen Sicherheitslage dort nicht aufgehoben. Israel betreibt weiter vier große Kontrollpunkte im Jordantal – Tayasir, Hamra, Ma’le Efrayim und Yitav. Diese Kontrollpunkte können nur palästinensische Fahrzeuge durchfahren, die Israel als Besitz von Anwohnern der Region anerkennt. Diese Beschränkungen der Bewegungsfreiheit beschädigen das Leben der Palästinenser ernsthaft, weil die meisten Ausbildungseinrichtungen und Krankenhäuser, die für die Nutzung der Bewohner der Region zur Verfügung stehen, sich außerhalb der Region befinden.

Israels Politik gegenüber Entwicklungsplanungen im Jordantal macht es Palästinensern unmöglich, ihre Gemeinden auszubauen und weiter zu entwickeln. Die zivilen Verwaltungsbehörden haben nur für einen Bruchteil der palästinensischen Gemeinden Entwicklungspläne erarbeitet, die zudem nur Pläne für Begrenzungen und Beschränkungen sind, in denen kein Land für Neubauten oder für die Entwicklung ausgewiesen wird. Zum Beispiel ließ die Planung für al-Jiftlik, die größte Gemeinde der C-Zone (die Gebiete im Westjordanland unter vollständiger und ausschließlicher Kontrolle von Israel), 40% des bebauten Gebietes des Dorfes außerhalb der Plangrenzen, was im Ergebnis dazu führt, dass die Häuser vieler Familien von Verfall bedroht sind. Der Bebauungsplan für al-Jiftlik umfasst weniger Land als der Plan für die israelische Siedlung Maskiyyot, obwohl in al-Jiftlik 26 Mal mehr Bewohner leben als in Maskiyyot.

Israel hat die Kontrolle der meisten bekannten Touristenstätten in der Region an sich gezogen – das Nordufer des Toten Meeres, Wadi Qelt, die Qumram-Höhlen, die Quellen im 'Ein Fashkha – Schutzgebiet und Qasr Alyahud (wo Johannes der Täufer Jesus getauft haben soll). Israels Behörden verwalten diese Stätten. Israel steuert ebenfalls den Zutritt von Touristen in Jericho, indem es die Touristen zu dem südlichen Stadteingang leitet. Das Ergebnis ist, dass wenige touristische Besucher Jerichos dort übernachten, was der Tourismuswirtschaft der Stadt erhebliche Verluste zufügt.

Israel ermöglicht Unternehmern aus Israel, die Ressourcen der Region auszunutzen. Die Kosmetik-Firma Ahava im Kibbuz Mizpe Shalem erzeugt Produkte aus den hoch-mineralischen Ablagerungen des nördlichen Toten Meeres. Ein israelischer Steinbruch nahe der Siedlung Kokhav Hashahar erzeugt Baumaterialien. Ferner hat Israel im Jordantal Einrichtungen zur Aufbereitung von Abfallwasser und zur Ablage von Abfall aus Israel und von seinen Siedlungen errichtet.

Internationale Gesetzgebung verbietet den Bau von Siedlungen (der Besatzer) und die Ausbeutung von Ressourcen in besetzten Gebieten. B'Tselem ruft Israel dazu auf, die Siedlungen zu entfernen, den Palästinensern Zugang zu allem Land zu ermöglichen, wo er ihnen jetzt verwehrt wird und ihnen den vollständigen Gebrauch ihrer Wasserquellen zur eigenen Nutzung zu erlauben. Zudem muss Israel die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in der Region aufheben und den Bau und die Entwicklung der palästinensischen Gemeinden ermöglichen. Israel muss seine Unternehmen, die von den Mineralien und anderen natürlichen Ressourcen der Region profitieren, schließen. Das gleiche gilt für die Einrichtungen zur Ablage von israelischem Abfall.

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat als Antwort auf die jüngsten blutig niedergeschlagenen Proteste und Erhebungen der Palästinenser keinerlei Bereitschaft zu irgendwelchen Zugeständnissen in Grundfragen eines Friedens zwischen Israel und Palästinensern in den besetzten Gebieten oder ein Abgehen von der oben geschilderten praktischen Besatzerpolitik erkennen lassen. Und der Sonntagsredner Barack Obama hat schon vor seiner für übermorgen angekündigten Grundsatzrede zum 'Nahostkonflikt' erkennen lassen, dass für ihn die Sicherheit Israels an erster Stelle steht und sich die bereits seit einem Jahr vertretene Ansicht von Israels Außenminister Lieberman zu eigen gemacht, dass natürlich die großen israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten bei Israel bleiben müssten (ggf. gegen 'Landtausch'). Man darf gespannt sein, wann er auch die Kapitulation der Palästinenser in Sachen Ost-Jerusalem zu Gunsten der Ansprüche Israels einfordern wird. 

Text und Übersetzung: hth  /  Foto: B'Tselem