Internationales

alt17.04.2011:  Vierzehn Jahre nach dem letzten Parteitag der KP Kubas findet seit dem gestrigen Samstag im Internationalen Kongresszentrum in Havanna der 6. Parteitag statt. Zum Auftakt feierte ganz Kuba mit einer großen Militärparade die Niederschlagung der us-amerikanischen gesteuerten 'Invasion in der Schweinebucht' zum Sturz des sozialistischen Systems auf Cuba im Jahre 1961. Danach versammelten sich die 1.000 Delegierten, die nahezu 800.000 Parteimitglieder aus über 61.000 Grundorganisationen der Partei vertreten. Staats- und Parteiführer Raul Castro eröffnete den Parteitag mit einem Grundsatzreferat über dringende Wirtschaftsreformen und den Ausbau und die Stärkung der sozialistischen Führung des Landes.

Raul Castro wies darauf hin, dass der Parteikongress eigentlich schon am 9. November des letzten Jahres begonnen habe: mit der Veröffentlichung und dem Beginn einer umfassenden inner- und außerparteilichen Diskussion des Entwurfes der 'Leitlinien für die ökonomische und soziale Politik der Partei und der Revolution'. Der gewollten Breite und Offenheit der Debatte entsprechend nahmen 8,9 Mio. Menschen in verschiedenster Weise an ihr Teil, 163 Tausend offizielle Veranstaltungen zur Auseinandersetzung mit den Leitlinien gab es und 3 Mio. Menschen äußerten sich mit eigenen Beiträgen. Diese Beteiligung des kubanischen Volkes führte dazu, dass letztlich 68% der Leitlinien neu formuliert wurden, 36 Leitlinien wurden ganz neu aufgenommen.

Der kubanische Staats- und Parteiführer ging nicht auf alle Einzelheiten der Leitlinien ein, hob jedoch die Debatte um die Berechtigungskarten für Basislebensmittel, die 'Libreta' hervor. Deren in Leitlinie 162 behandelte Abschaffung erhielt die meisten Stellungnahmen und Beiträge in der breiten Landesdebatte der letzten Monate. Castro dazu: "Sicherlich hat das Buch mit den Bezugsscheinen für Basislebensmittel uns zu lange begleitet, denn es widerspricht dem sozialistischen Verteilungsprinzip 'Jeder entsprechend seinen Fähigkeiten, jedem entsprechend seiner Arbeitsleistung'. Dieser Zustand muss verändert werden." Das würde jedoch nicht auf einmal "per Dekret" geschehen, sondern durch die geplante Transformation des Wirtschaftsmodells zu mehr Effizienz des Arbeitseinsatzes und höherer Produktivität.

In diesem Kontext wies Raul Castro auch alle "Schock-Therapien" nach Art der Vorgaben des Internationalen Währungsfonds zurück, wie der sie früher der Dritten Welt und mittlerweile Ungarn, Griechenland, Portugal, ... und anderen entwickelten Ländern in Europa aufzwang. "Die Revolution wird keinen Kubaner hilflos allein lassen", ergänzte er und verwies dabei insbesondere und wie schon früher auf den Abbau des völlig überzogenen Personals im öffentlichen Dienst. Was immerhin etwa 1,8 Mio. Menschen betrifft.  Die kubanische Führung hat allerdings genau aus den von Raul Castro dargelegten Überlegungen im März den Personalabbau im öffentlichen Dienst vorerst ausgesetzt.

Als Ausweg betrachtet die Führung Kubas die Schaffung und den Ausbau des nicht-öffentlichen Wirtschaftssektors: Zulassungen für Selbständige im Kleingewerbe und in der Landwirtschaft. 190.000 Lizenzen für selbständige Kleinunternehmer wurden seit Oktober 2010 ausgegeben. Raul Castro in seinem Bericht dazu: "Das Wachstum des privaten Wirtschaftsbereiches ist weit von einer Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums entfernt, wie es uns einige Theoretiker glauben machen wollen. Das soll vielmehr ein aktives Element der Förderung des Sozialismus in Kuba werden, da es dem Staat erlauben wird, sich auf die Anhebung der Effizienz bei den grundlegenden Produktionsmitteln zu konzentrieren. Gleichzeitig wird es den Staat von denjenigen Managementaufgaben entlasten, die keine strategische Bedeutung für das Land haben."

Als ein weiteres wichtiges Element der Veränderung des Modells der wirtschaftlichen Entwicklung betonte Raul Castro das Abgehen von exzessiv zentralistischer Steuerung und der Übergang zu mehr Dezentralität und Eigenverantwortung: "Das übertrieben zentralistische Modell, welches im Augenblick unsere Wirtschaft kennzeichnet, soll geordnet - mit Disziplin und unter Beteiligung aller Arbeitenden - in ein dezentralisiertes System übergehen, bei dem Planung als ein sozialistisches Merkmal der Verwaltung bestehen bleibt, ohne dass laufende Marktentwicklungen ignoriert werden. Das wird zur Flexibilität und anhaltender Fortschreibung des Plans beitragen. Was praktische Erfahrungen uns lehren, ist nämlich, dass übertriebene Zentralisation die Entwicklung von Initiativen in der Gesellschaft und in gesamten Produktionsbereichen dort unterbindet, wo die Führungskräfte gewohnt sind, dass 'oben' entschieden wird und sich infolgedessen als nicht verantwortlich für die Ergebnisse der Einheiten fühlen, die sie leiten." 

Um die Dezentralisierung anzugehen, wird "es für die Führungskräfte des Staates und der Unternehmen notwendig sein, die erkennbar wichtige Rolle von Verträgen in der Wirtschaft wieder zu beleben. Dies wird uns helfen, Disziplin und Ordnung bei Zahlungen und Geldforderungen zurück zu bringen - ein Verhalten, welches sich in einem guten Teil unserer Wirtschaft auf niedrigem Niveau befindet."

In einem verbundenen, aber inhaltlich zweiten Teil seines Berichtes vor dem Parteitag behandelte Raul Castro Fragestellungen der demokratischen und sachkompetenten Führung des Landes. Er rief dazu auf, Verantwortlichkeiten von Partei und Staat besser und genauer zu trennen: "Die Kraft der Partei liegt grundlegend in ihrer moralischen Autorität, ihrem Einfluss auf die Volksmassen und auf dem Vertrauen des Volkes. Die Arbeit der Partei gründet sich auf die Ehrbarkeit ihrer Motive und auf die Gerechtigkeit ihrer politischen Linie. - Die Kraft des Staates liegt in seiner materiellen Autorität, die in der Stärke seiner Institutionen, die dafür verantwortlich sind, von jedermann die Achtung der von ihnen vertretenen rechtlichen Regeln einzufordern. - Der bei Vermischung dieser beiden Konzepte verursachte Schaden ist offensichtlich: erstens der Verfall der politischen Arbeit der Partei; zweitens im Niedergang der Autorität des Staates und seiner Regierung, indem die Beamten aufhören, sich für ihre Entscheidungen verantwortlich zu fühlen."

Konkret wies Raul Castro auf falsche Personalauswahl und -besetzung hin, bei denen Verantwortlichkeit von Staat/Unternehmen und Partei falsch behandelt wurden. "Nicht wenige bittere Lektionen bestehen im Erbe von Fehlern in der jetzigen dem Mangel an klaren Kriterien und Vorstellungen geschuldeten Ära. Diese Mängel öffneten die Tür für übereilte Förderung von unerfahrenen und unreifen Führungskräften, die mittels Angabe und Opportunismus anderes vortäuschten. Solche Haltungen hatten ihren Nährboden in den falschen Vorstellungen, dass eine unausgesprochene Vorgabe für eine Leitungsfunktion die Mitgliedschaft in der Liga der Jungkommunisten war."

"Mitgliedschaft in einer politischen Organisation sollte keine Vorbedingung für die Ausübung einer Leitungsfunktion im Staat oder in der Regierung sein. Was die Führungskräfte benötigen ist angemessene Ausbildung und die Bereitschaft, Politik und Programm der Partei als ihre eigenen anzuerkennen. Wahre Führer entstehen nicht einfach so in Schulen oder durch Begünstigung. Sie werden in den Grundeinheiten geschmiedet, durch Arbeit in ihrem erlernten Beruf und in Kontakt mit den Arbeitern. Sie wachsen schrittweise in die Fähigkeit zur Führerschaft und durch Beispielgeben in Form von Opfern und Arbeitsergebnissen. ... Heute sehen wir uns der Konsequenz gegenüber, dass wir keine Reserve an gut ausgebildetem Nachwuchs mit ausreichender Erfahrung und Reife haben, um die neuen und komplexen Führungsaufgaben in Partei, Staat und Regierung zu besetzen. Das ist ein Problem, welches wir schrittweise in den nächsten fünf Jahren lösen sollten ... ", führte Raul Castro weiter aus. Und er kündigte in diesem Zusammenhang an, dass zur "Stärkung des demokratischen Geistes und der kollektiven Zusammenarbeit in Partei, Staat und Regierung" u.a. die "Amtszeit in den oberen politischen und Staatsämtern auf zwei fünfjährige Perioden begrenzt" werden soll.

Ein wichtiger Schritt zur Erneuerung und Stärkung von Staatsinstitutionen und der richtigen Nachwuchsarbeit im Geiste der richtigen Abgrenzung der Verantwortlichkeiten von Staat und Partei sei, so Castro, eine "wesentliche Verringerung der Zahl der Führungspositionen, die von der Partei auf Gemeinde-, Provinz- und Landesebene bestätigt werden müssen. Stattdessen werden die oberen Leiter in Ministerien und Unternehmen ermächtigt, für einen großen Teil ihrer untergeordneten Führungskräfte die Ernennung, den Austausch und die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen mit Hilfestellung der Personalausschüsse durchzuführen. In letzteren ist die Partei auch vertreten und hat eine Stimme, aber den Vorsitz führt der Manager und er trifft die endgültige Entscheidung. Die Ansicht der Partei wird wertgeschätzt bleiben, aber der einzige Entscheider sind die Unternehmensmanager, und wir sollten ihre Autorität in Harmonie mit der Partei halten und voran bringen."

Ausdrücklich forderte Raul Castro in seinem Vortrag die kubanischen Medien auf, diese Prozesse professionell zu unterstützen. Sie sollten "gründliche und gescheite Artikel und Reportagen in jedermann verständliche Begriffen" herausgeben. " In diesen Arbeitsgebieten ist es notwendig, endgültig die Gewohnheit zu verbannen, die nationale Wirklichkeit in in überzogen hochtrabender Sprache oder mit übermäßiger Förmlichkeit zu beschrieben. Stattdessen sollten Materialien, Fernseh- und Radioprogramme so produziert werden, dass die Aufmerksamkeit des Publikums durch Inhalt und Stil gewonnen und eine öffentliche Debatte gefördert wird. " Und er kritisierte die weit verbreitete Herausgabe von "langweiligen, zusammen geschusterten oder oberflächlichen Berichten".  

Fast ein Drittel seiner Rede widmete Raul Castro zudem der aktuellen internationale Lage. Ausdruck der großen Freundschaft zur DDR war sicherlich die Teilnahme von Margot Honnecker, die von den deutschen Herrschaftsmedien mit Häme herausgestellt wurde, als Ehrengast auf dem Parteitag der KP Kubas. Die Beratungen und Beschlussfindungen werden am Dienstag (19.4.) zu Ende gehen.

Text:  hth  /  Foto: GRANMA