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alt10.02.2010:  Am Anfang der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik im Jahre 1979 mit dem wirtschaftlichen Aufbau im Mittelpunkt formulierte der damalige geistige Führer Chinas, Deng Xiaoping, einige Menschen solle man gestatten, zuerst reich werden, dann sollte sich der Wohlstand allmählich über die gesamte Bevölkerung verteilen. Und er wies darauf hin, dass eine gerechte Einkommensverteilung ein wesentliches Kriterium für ein sozialistisches Land sei. Nun sind in den letzten Jahren die Unterschiede der  Einkommen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen Chinas stetig größer geworden. „Mehr Arbeit, weniger Lohn" und „die Große Kluft zwischen Reichen und Armen" sorgen für immer mehr Aufmerksamkeit und Diskussion - in der Gesellschaft, Staats- und Parteiführung.

Bei einer 2009 von der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften durchgeführten Umfrage in mehr als 40 Kreisen in fünf Provinzen Chinas wurde ermittelt, was die Menschen für das größte soziale Problem des Landes halten. Die „Kluft zwischen Reich und Arm" wurde dabei am zweithäufigsten genannt. Eine Untersuchung des chinesischen Zentrums für Einkommensverteilung und Armut stellte u.a. fest, dass die einkommensstärksten 10% der Chinesen 1988 über 7,3 Mal so viel Einkommen verfügten, wie die einkommensschwächsten 10%, heute unterscheiden sie sich mit dem Faktor 23. Die weltweite Finanzkrise Ende 2008 hat diese Ungerechtigkeiten noch verschärft. Inzwischen gibt es landesweit eine sehr offene und breite gesellschaftliche Debatte über Ursachen und Lösungen.

Über die Ursachen führte auf dem 'China Wirtschaftsforum 2010' am 7. Januar in New York Lin Yifu, Vize-Präsident der Weltbank, aus: „Vor Beginn der Reform- und Öffnungspolitik war in China nach sowjetischem Vorbild vorrangig die Schwerindustrie entwickelt worden, diese kapitalintensive Industrie entsprach aber nicht dem komparativen Vorteil Chinas. Die Unternehmen waren auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig, die chinesische Regierung hatte deshalb viele kostenintensive Maßnahmen ergriffen, um die Schwerindustrie zu schützen. Am Anfang der Reformpolitik stand die Forderung nach der Korrektur von Fehlern in der industriellen Entwicklung. Das aber führte zur Schließung zahlreicher Betriebe wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit. Um die Stabilität der Gesellschaft nicht durch eine steigende Zahl von Arbeitslosen zu gefährden, ist das Reformmodell Schritt für Schritt verwirklicht worden. Im Zuge der Reformen hat China allmählich seinen Markt geöffnet und Privatunternehmen zugelassen. Da der komparative Vorteil Chinas in arbeitsintensiver Industrie liege, wurde vorrangig die Ansiedlung von Unternehmen der Fertigungsindustrie gefördert. Wirtschaftlicher Erfolg in diesen Branchen schuf die Voraussetzung für Reformen in  anderen Bereichen." Lin Yifu wies darauf hin, dass Ungleichgewichte im Inneren und Äußeren der Preis für die Reform gewesen seien. Als „inneres Ungleichgewicht" bezeichnet Lin die sich  vergrößernden Einkommensunterschiede vor allem zwischen Stadt und Land, aber auch die Zurückhaltung beim Konsum zugunsten eines Anwachsens der Spareinlagen. „Äußeres Ungleichgewicht" sei hingegen an den Überschüssen im chinesischen Außenhandel abzulesen.

Nun mehren sich die Zeichen, dass die Zentralregierung den Binnenmarkt entschieden fördern und die Reform der Einkommensverteilung ernsthaft angehen möchte. Auf der Zentralen Planungskonferenz über Wirtschaftsfragen im Dezember 2009 wurde der Plan bekräftigt, die Einkommensverteilung unter der Bevölkerung zu regulieren sowie die Konsumfähigkeit der Bevölkerung und insbesondere die der einkommensschwachen Kreise zu erhöhen. Der Staatsrat bekräftigte erst unlängst seine Absicht, das System der Altersversorgung auf dem Lande zügig aufbauen zu wollen, um eine Grundsicherung der Senioren in ländlichen Regionen anzubieten. Auf der Ständigen Sitzung des chinesischen Staatsrats am 22. Dezember wurde beschlossen, die Renten von ehemaligen Angestellten und Arbeitern ab dem 1. Januar 2010 um 10% erhöhen. Der Satz der offiziellen Armutsgrenze wurde nach lange daran vorgebrachter Kritik von 785 Yuan pro Jahr auf 1196 Yuan angehoben, was für viele der Betroffenen (mindestens 40 Mio. Menschen) eine entsprechende Anhebung von sozialer Hilfe bedeutet.

Großes Gewicht hat auch die Förderung öffentlicher Dienstleistungen. Der diesjährige Haushaltsplan der Regierung von Ministerpräsident Wen Jiabao sieht 22,5% Mehrausgaben im Bildungssektor vor, im Gesundheitsbereich werden 20,9% mehr ausgegeben und auch die sozialen Sicherungssysteme werden umfangreich gefördert (23,1 %). Zusätzlich werden 850 Milliarden Yuan in den Gesundheitssektor gesteckt, um den 4 Billionen Yuan schweren Zwei-Jahres-Konjunkturplan zur Bekämpfung der Auswirkungen der Welt-Finanzkrise abzurunden.

Die Regierung versucht auch seit mehreren Jahren, den ländlichen Gebieten zu helfen, den industriellen Boom, wie er in den Städten zu erleben ist, aufzuholen. Sie entspricht damit den Vorschlägen vieler Experten. "Die Abschaffung der fast 3000 Jahre bestehenden Agrarsteuer, die Einführung eines Versicherungsnetzwerks, das alle ländlichen Gebiete deckt, und das Tempo der Verstädterung haben dazu beigetragen, das Einkommen der Bauern zu steigern und den Einkommensunterschied zu verringern", so Ding Yifan, Wissenschaftler am Forschungszentrum für Entwicklung beim Staatsrat. Jedoch müsse die Regierung sich mehr um die Durchsetzung der Maßnahmen bemühen.

Der neueste Plan vom Januar sieht auch vor, mehr Investitionen, Subventionen, finanzielle und politische Unterstützung in die weiten ländlichen Gebiete zu stecken. Zwischen Stadt und Land sind die Einkommensunterschiede am größten. Vergangenen Monat vom Staatlichen Statistikamt veröffentlichte Zahlen zeigen, dass das Pro-Kopf-Einkommen von Menschen in den Städten sich 2009 auf 17.175 Yuan belief, das sind 8,8 Prozent mehr als im Vorjahr, während das Pro-Kopf-Einkommen von ländlichen Bewohnern vergangenes Jahr bei nur 5.153 Yuan stand, und die Wachstumsrate lag 0,6 Prozentpunkte niedriger als die des Einkommens von Bewohnern in den Städten. Zur Reform und Förderung von höheren Einkommen gehört aber auch eine Reform im Bankensystem, damit mehr kleinere und mittelgroße Unternehmen auf dem Land unterstützt werden.

Zur Einkommensregulierung schlagen chinesische Experten auch vor, dass staatseigene Betriebe das Volk an den Unternehmensgewinnen teilhaben lassen sollten. Staatseigene Unternehmen seien das Eigentum aller Bürger, nicht allein der Regierung. Gegenwärtig käme der Gewinn staatseigener Unternehmen nur der Regierung zugute, dies laufe Sinn und Zweck staatlichen Eigentums zuwider. Chinesische Bürger sollten auch einen Anteil der Gewinne staatseigener Unternehmen erhalten.

Eine Überraschung im Zusammenhang mit der großen Ungleichheit in der Einkommensverteilung Chinas gab es am letzten Dienstag (2. Februar), als Richard Herd, Ökonom der OECD, den neuesten Bericht über die Wirtschaftliche Situation Chinas in Peking vorstellte. Einkommensunterschiede werden weltweit mit dem sogenannten Gini-Index gemessen, der von null bis hundert geht, wobei null als vollkommene Gleichheit, hundert als völlige Ungleichheit und 40 als Warngrenze zählt. Wissenschaftlern der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften zufolge stand der Gini-Index 2005 bei 49,6. Jedoch setzte die OECD in ihrem neuesten Bericht den Index von 2005 auf 41 beziehungsweise den von 2007 auf 40,8 fest, und zwar auf Basis eines ihrer Ansicht nach besseren Maßstabs von Preisänderungen und unregistrierten ländlichen Wanderarbeitern in Städten. Diese Gruppe von Arbeitern (über 110 Mio. Menschen) hat in den letzten Jahren in den Städten erhebliche Einkommenszuwächse erlebt, ist jedoch statistisch schwer zu erfassen. In dem OECD-Bericht wird außerdem darauf hingewiesen, dass der Einkommensunterschied in China zwar größer ist als in den USA und anderen Industrieländern, aber geringer als in anderen Entwicklungsländern wie etwa Brasilien, Mexiko oder Vietnam.

Trotz der ermutigenden OECD-Zahlen und Optimismus unter einigen Experten gegenüber dem sich wohl etwas verringernden Einkommensunterschied ist eine große Zahl von Chinesen immer noch unzufrieden mit ihrem Einkommen. Und ein Forscher der Psychologischen Soziologie an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, wies außerdem darauf hin, dass Unterschiede zwischen Arm und Reich zwar in jedem Land auftauchten. Eine große Gefahr und ein Grund zur Beunruhigung sei es aber, wenn die Menschen die Hoffnung auf ein besseres Leben aufgäben. "Die Regierung sollte mehr Ressourcen für weniger privilegierte Menschen anbieten, so dass diese sich nicht der Gesellschaft entfremden", meinte Shen Jie.

Text: hth  / Quellen: OECD, Beijing Review, Global Times

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