Wirtschaft

hartz IV staat Elias Schwerdtfeger 11.06.2016: Am 9. Juni fand im Bundestag die 2. und 3. Lesung zum Gesetzentwurf mit dem unverfänglichen Titel „Rechtsvereinfachungen“ in Sachen Hartz IV statt. Im August soll das Gesetz dann in Kraft treten. Dabei geht es bei diesem Gesetz allerdings – so die Kritik von Opposition und Sozialverbänden - weniger um „Vereinfachungen“ als um eine weitere Entrechtung von Hartz-IV-Empfängern. Sechs Millionen Menschen müssen von Hartz IV leben - darunter 1,7 Millionen Kinder. Der Regelbedarf beträgt 404 € für eine alleinstehende Person - soweit so schlecht. Zur Hartz IV-Realität gehört aber auch, dass die Jobcenter gegen viele Anspruchsberechtigte Sanktionen aussprechen, d.h., sie kürzen die monatlichen Leistungen damit unter das Existenzminimum. Und gerade hier setzen die nun zu verabschiedenden „Rechtsvereinfachungen“ zu einem großen Teil an.

Die Palette der Sanktionen durch die Job-Center soll ausgeweitet werden. An dieser Tendenz ändern auch kleine Korrekturen nichts, zu der sich Bundesarbeitsministerin Nahles nach außerparlamentarischen Protesten und nachdem der Bundesrat Mitte März den Regierungsentwurf gerügt hatte, gezwungen sah. So sah der Kabinetts-Entwurf einen Passus vor, nach dem die Leistungen von Alleinerziehenden in den Zeiten, in denen sich das Kind beim anderen Elternteil aufhält, gekürzt werden. Opposition und Sozialverbände hatten gegen diese Pläne protestiert. Laut den Verbänden hätte diese Änderung dazu geführt, dass Alleinerziehende für jeden Tag, an dem das Kind beim Ex-Partner ist, Abzüge zu verschmerzen gehabt hätten. In diesem Punkt musste Ministerin Nahles (SPD) nun zurückrudern  und ließ durch eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums verlauten, dass auf die Änderungen für Alleinerziehende im Rahmen der geplanten Rechtsvereinfachungen zu Hartz IV verzichtet werde.

„Zweites Sanktionsregime“

Ein Hauptkritikpunkt an den nun zu beschließenden sog.Rechtsvereinfachungen lautet, dass damit  „ein zweites Sanktionsregime“ installiert werden soll, so die Formulierung der Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten Inge Hannemann. Gemeint sind sogenannte Ersatzansprüche der Jobcenter gegen Hartz-IV-Bezieher „bei sozialwidrigem Verhalten“. Konkret bedeutet das: Hat ein Klient ein Arbeitsangebot abgelehnt, dürfte die Behörde ihm künftig den somit nicht erhaltenen Lohn vom Hartz-IV-Satz abziehen. Und zwar zusätzlich zu bereits verhängten Sanktionen. Dasselbe soll gelten, wenn das Jobcenter einem Klienten vorwirft, eine Kündigung selbst verschuldet zu haben. Außerdem sollen Jobcenter sogar Sachleistungen zurückverlangen können. Diese Sachleistungen können Betroffene beantragen, denen die ausbezahlten Gelder bereits um über 30 Prozent gekürzt wurden. Wenn überhaupt, gewährt das Amt dann Lebensmittelgutscheine. Diese habe der zur Erstattung Aufgeforderte ebenfalls „zurückzugeben oder in Geld zu ersetzen“.

Ebenfalls nicht absehen will der Gesetzentwurf von einer härteren Bestrafung 15- bis 24jähriger.  Ihnen soll weiterhin schon beim ersten „Regelverstoß“ die Leistung gestrichen werden. Seit langem beklagen Hartz-IV-Kritiker die verschärften Repressalien gerade gegen junge Menschen.

"Es handelt sich um den Versuch einer administrativen Effizienzsteigerung eines schlechten Gesetzes", erklärt die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Sabine Zimmermann. „Anstatt die Menschen mit Sanktionsinstrumenten immer mehr unter Druck zu setzen und Leistungen zu kürzen, sollte die Bundesregierung daran arbeiten, verlässliche soziale Sicherheit und mehr und fair entlohnte Arbeitsplätze zu garantieren. Das Hauptproblem ist nicht fehlende Motivation, wie das bestehende Sanktionsregime unterstellt, sondern die fehlende Arbeit, vor allem existenzsichernde. Die dramatischen Einsparungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren zeugen aber davon, dass die Bundesregierung einen Großteil der erwerbslosen Menschen abgeschrieben hat und ihrem Schicksal überlässt. Grundsätzlich fordert DIE LINKE die Abschaffung des Hartz IV-Systems und dessen Ersetzung durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung."

inge hannemann petition linksfarktionInge Hannemann (Foto), bundesweit bekannte Hartz-IV-Kritikerin und jahrelang selber als Arbeitsvermittlerin in einem Job-Center beschäftigt, plädiert für mehr Gegenwehr der Betroffenen. Mit der neuen Hilfeplattform „sanktionsfrei.de“ will sie das ändern. „Wir finden Sanktionen unangemessen und menschenunwürdig. Ein Existenzminimum muss ein Existenzminimum bleiben.“ Im Schnitt ist jede vierte leistungsberechtigte Person einmal pro Jahr von Sanktionierungen betroffen. Dass die Sanktionen dabei häufig gegen Gesetze verstoßen, belegt die hohe Erfolgsquote der Widersprüche: Über 40% Prozent aller Klagen sind erfolgreich. Doch nur fünf Prozent der Betroffenen fordern ihre Rechte ein. Genau hier setzt Sanktionsfrei an: Inge Hannemann und das Berliner Team aus kreativen Querdenkenden um Michael Bohmeyer wollen schaffen, was die Politik seit über zehn Jahren versäumt: das Hartz-IV-System in eine sanktionsfreie Mindestsicherung umgestalten. (Flyer im Anhang)

Über eine Million Betroffene erhalten seit über 9 Jahren Hartz IV

Wie nötig das ist, macht auch folgende Tatsache deutlich: Etwa ein Viertel aller erwachsenen Hartz-IV-Empfänger sind seit mehr als neun Jahren durchgängig auf die Sozialleistung angewiesen. Das waren im Juni 2015 insgesamt 1,14 Millionen Frauen und Männer, die bereits neun oder mehr Jahre Hartz-IV bezogen haben. Die Betroffenen hatten in dieser Zeit keine Unterbrechung des Leistungsbezugs von mehr als einem Monat. Zu den erwerbsfähigen Hartz-IV-Beziehern zählen aber nicht nur Arbeitslose, sondern auch Aufstocker, die die Sozialleistung ergänzend zu ihrem Arbeitseinkommen erhalten, oder Menschen, die Angehörige pflegen und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.

Und auch diese Zahl steigt gegenwärtig, wie einem Bericht des „Neuen Deutschland“ (7.6.16) zu entnehmen ist. Demzufolge bezog im vergangenen Jahr bereits gut jeder zehnte Arbeitslosengeld-Empfänger als Aufstocker parallel auch die Leistungen der staatlichen Grundsicherung. Demnach stieg die Aufstockerquote 2015 auf 10,2 Prozent, nachdem sie 2011 noch bei 9,1 Prozent gelegen hatte. Insgesamt gab es im Durchschnitt des Vorjahres 91.539 solcher Aufstocker. Dass viele Erwerbslose beim Jobcenter ergänzend Hartz IV beantragen müssen ist offensichtlich eine Folge von Niedriglöhnen und der wachsenden Teilzeitbeschäftigung.

Text: gst   Foto: Elias Schwerdtfeger / linksfraktion