Wirtschaft

Brussel Midi Station09.01.2016: Mit einem 48-stündigen Streik gleich zu Jahresbeginn wehrten sich die belgischen Eisenbahner am 6./7. Januar gegen den Plan der rechtsliberalen Ministerin für Mobilität, Jacqueline Galant, die „Produktivität“ (Rentabilität) der staatlichen belgischen Eisenbahngesellschaft (SNCB) durch Stellenabbau und andere Sparmaßnahmen auf Kosten des Personals und durch eine Zerteilung des Unternehmens in mehrere getrennte Firmen zu steigern.

Die beiden größten Gewerkschaftsbünde, die zum christlichen Gewerkschaftsbund gehörende Eisenbahnergewerkschaft CSC Transport und die CCSP-Cheminots, die zum weithin unter „sozialistischer“ (sozialdemokratischer) Führung stehenden Allgemeinen Gewerkschaftsbund Belgiens (FGTB) gehört, hatten übereinstimmend zu dem Ausstand aufgerufen. Im Ergebnis hatte nahezu der gesamte Eisenbahnverkehr vor allem im südlichen, französischsprachigen Landesteil Wallonien völlig stillgelegen. Nach Gewerkschaftsangaben hatten sich hier rund 80 Prozent der Beschäftigten beteiligt. Auch die Fernzüge, insbesondere der berühmte Thalys von Amsterdam und Köln nach Paris mussten den Betrieb weitgehend einstellen. Die Eurostars von Belgien nach London konnten nur auf der Strecke Lille – London auf französischem und britischem Gebiet fahren. Im nördlichen flämischsprachigen Landesteil Flandern hingegen hatten die regionalen Gewerkschaftsspitzen kurz vor Beginn des Arbeitskampfes offenbar den Mut verloren und die Kampfaktion kurzfristig abgesagt. Dennoch beteiligten sich auch hier nach Gewerkschaftsangaben rund 25 Prozent der Beschäftigen trotz der gegenteiligen Empfehlung ihrer Führungen am Ausstand, was dazu führte, dass immerhin noch rund 30 Prozent der Züge nicht fahrplanmäßig verkehren konnten.

Regierung will Verantwortung für Mängel und Versäumnisse auf Beschäftigten abwälzen und das öffentliche Unternehmen für spätere Privatisierungen zerschlagen

Unmittelbarer Anlass des Arbeitskampfes war, dass im Dezember die seit Monaten geführten Verhandlungen zwischen staatlichen Unterhändlern und den Gewerkschaften erneut ergebnislos verlaufen waren. Während die Gewerkschaften über eigene Gegenvorschläge zur Verbesserung des belgischen Eisenbahnbetriebs als landesweites öffentliches Unternehmen verhandeln wollten, stellte sich die Ministerin auf den Standpunkt, dass nur über „Umsetzungsmaßnahmen“ für den aus ihrem Ministerium entwickelten Plan gesprochen werden könne, den das Ministerium am 16. Dezember der Direktion der SNCB ohne jede vorherige Konsultation mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen zur Durchführung übergeben hatte.

Die belgische „Partei der Arbeit“ (PTB) hat in einer Stellungnahme ihres Sprecher Raoul Hedebouw, seit den Wahlen 2014 Abgeordneter der PTB im nationalen belgischen Parlament, darauf hingewiesen, dass allein die Regierung die Verantwortung für die entstandene Situation und den Streik trägt. Zugleich forderte er als erste Maßnahme zur Wiederherstellung eines Klimas des Dialogs zwischen Gewerkschaften und Regierung ein „Moratorium“ (Aufschub) des Galant-Plans zur Neustrukturierung der SNCB.

Der PTB-Sprecher betonte, dass in der Tat erhebliche Probleme im belgischen Eisenbahnbetrieb bestehen, für die jedoch nicht die Beschäftigten verantwortlich zu machen seien. Die Zahl der Verspätungen habe sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt, die Unzufriedenheit der Nutzer sei deutlich größer geworden und auch die Zahl der Unfälle habe zugenommen. Dennoch will die Regierung nur weitere Einsparungen in Höhe von 3 Milliarden Euro durchsetzen, und zwar vorwiegend durch weniger Investitionen in die Gleisunterhaltung und das rollende Material, die Einstellung von weiteren 800 km „unrentable Strecken“ und den Abbau von weiteren 7000 Stellen. Dafür sollen die Beschäftigten erhebliche Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen hinnehmen, beispielsweise verkürzte Ruhezeiten für Zugführer und „flexible“ Arbeitszeit für Stellwerke und Weichenwärter mit Schichten bis zu 12 Stunden. Auch die Zahl der Zugbegleiter soll um 20 Prozent gekürzt werden. Gleichzeitig denkt die Direktion aber auch an eine neue Preiserhöhung mit Verteuerung von manchen Leistungen bis zu 509 Prozent. Schließlich soll das jetzt noch landesweit tätige Unternehmen SNCB in mehrere selbstständige Regionalfirmen unterteilt und auch Gleisunterhaltung und Fahrbetrieb in selbstständige Einheiten getrennt werden. In den Gewerkschaften erweckte dies den Verdacht, dass damit die Voraussetzungen für eine nachfolgende Privatisierung einzelner Regionalunternehmen und Strecken geschaffen werden sollen.

„Eine Politik voranzubringen, die ihr Scheitern bereits bewiesen hat, und behaupten, dass das positive Ergebnisse bringt“, wie es die Ministerin tut, entbehrt laut dem PTB-Sprecher Hedebouw aller Vernunft. „Angesichts der Arroganz der Regierung können wir nur Verständnis für die Stimmung der Eisenbahner gegenüber diesem Plan äußern“, sagte er. Im Gegensatz zur Regierung kämpften sie für ein Projekt der SNCB mit Zukunft als öffentliches Unternehmen im Dienst der Kunden.

Text: G.Polikeit    Foto: Matthew Black