Wirtschaft

verdi poststreik koeln Marco Verch27.06.2015: Seit drei Wochen sind nun schon bis zu 32.000 Kolleginnen und Kollegen von der Post im Streik. Der Gelbe Riese macht dabei überhaupt keine Anstalten, sich mit der Gewerkschaft ver.di zu einigen. Ganz im Gegenteil: mit allen Mitteln wird versucht, den Streik zu brechen. Die Grenzen der Legalität scheinen dabei immer weniger eine Rolle zu spielen. Mit öffentlichen Aktionen werben die Streikenden um Unterstützung wie z.B. bei einer 24-Stunden-Mahnwache mit Kundgebung in Freiburg. Dort treten auch Vertreter der französischen CGT und der Katholischen Arbeitnehmerbewegung auf. Mehr zum Poststreik in dem vom Autor aktualisierten Bericht aus der UZ vom 19. Juni 2015.

 

stellenanzeige dhl delivery„Wer Delivery sät, wird Streik ernten“, stand auf einem Transparent, als am 27. Mai 5.000 streikende Postler*innen in Frankfurt am Main anläßlich der Aktionärsversammlung der in 140 Ländern agierenden „Deutsche Post DHL Group“ demonstrierten. 444.000 Beschäftige, davon 160.000 in Deutschland, bescherten den Aktionären eine Dividende von 85 Cent pro Euro, insgesamt 1,030 Milliarden. Aktionär ist der Bund mit rund 21% Anteil, aber auch die Heuschrecke Black Rock. Damit aus 3 Mrd. Gewinn bis 2020 mindestens 5 werden, will Postchef Appel bis zu 20.000 Beschäftigte in 49 Niederlassungen einer „DHL Delivery GmbH“  ausgliedern, wo sie 20 bis 30% weniger verdienen würden. Damit reagierte der gelbe Riese auch auf die Weigerung von ver.di, niedrigere Einstiegslöhne und längere Arbeitszeiten zu akzeptieren. Nach 6 erfolglosen Verhandlungsrunden und zahlreichen Warnstreiks seit April ruft nun ver.di täglich mehr Beschäftigte zu Streiks auf. Die Gewerkschaft fordert 5,5% mehr Lohn sowie eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich um 2 ½ Stunden pro Woche. Das entspräche etwa dem Volumen der geplanten Ausgliederungen, deren Effekt somit zunichte gemacht würde.

Für die meisten Beschäftigten wurden die Arbeitsbedingungen seit der Privatisierung schlechter. Die Arbeitshetze nahm zu, ob nun die Reviere der Briefträger vergrößert oder große Paketverteilzentren zu „Knochenmühlen“ wurden, in denen Schwerstarbeit als Anhängsel der Maschinen verrichtet wird. Seit Jahren wird kaum mehr fest angestellt, endlose Befristungen sind normal. Eine der 14.000 befristeten Postbot*innen brachte es in Wittenberg auf 88 Befristungen. Briefträger, die nach offiziellem Feierabend noch von Haus zu Haus eilen, treibt die Angst, keinen neuen Vertrag zu bekommen. Zunehmend wurde Arbeit ausgelagert, erkennbar z.B., wenn aus bejahrten Rostlauben steigende Menschen Briefkästen leeren. „Kooperationspartner der Deutschen Post“ liest man da. Wobei der offiziell selbständig ist, schlecht verdient und sich selbst sozialversichern muß.

„Wir zahlen die besten Löhne“, so ein Spruchband an einem DHL-Gebäude. Angeblich hätten die Beschäftigten keinen Grund zum Streiken, nur ver.di wolle das. Dabei vergleicht man mit der Billigkonkurrenz großer und kleiner Postanbieter, die bis 2014 zumeist noch unter heutigem Mindestlohn bezahlten. So klagte das Unternehmen PIN, der Springer-Verlag ist Anteilseigner, 2010 erfolgreich gegen den branchenspezifischen Mindestlohn.  Angeblich ohne Zutun der Unternehmer entstanden dort gelbe Gewerkschaften wie die der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ). Sie   organisierte u.a. eine Demonstration gegen den Mindestlohn. Das Landesarbeitsgericht Köln erkannte diesem Verein die Gewerkschaftseigenschaften ab. Die Arbeitsbedingungen bei Konkurrenten der DHL wie GLS bezeichnete Günter Wallraff als moderne Sklaverei. In der Post- und Logistikbranche wurde es anschaulich, wie die Schaffung von Billiglohnsektoren und Repressionsmechanismen wie Hartz IV Beschäftigte und Gewerkschaften ehemals regulierter, weil gut organisierter Bereiche unter Druck bringt. Da genierte sich das Management dann auch nicht zu behaupten, ver.di fördere mit ihrem Streik letztlich die unsoziale Konkurrenz.

Wo solche Propaganda nicht griff, wurden Vorgesetzte massiver. Nach Presseberichten wurde  befristet Beschäftigten gedroht, daß ihre Verträge nicht verlängert würden, und Teamleitern, sie hätten die längste Zeit in ihrer Funktion gearbeitet, falls sie streiken würden. Im Nordosten setzten die Manager polnische DHL-Beschäftigte Streikbrecherarbeiten ein. Im Rheinhessischen Saulheim wurden kurzfristig angeworbene rumänische Erntehelfer im dortigen Paketzentrum beschäftigt. Die Gemeinde vermietete bereitwillig einen öffentlichen Parkplatz an die Post, wodurch ver.di den Platz nicht nutzen kann um z.B. ein Streikzelt aufzustellen.   Wiederholt wurden auch Beamte als Streikbrecher mißbraucht. Bei der Post sind noch 40.000 „Staatsdiener“ beschäftigt.  Deren Einsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen ist nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil rechtswidrig. Ein von ver.di angerufenes Kölner Arbeitsgericht sah das anders, so lange der Einsatz freiwillig sei. Wie in Betrieben „Freiwilligkeit“ oft zustande kommt, ist kein Geheimnis. Ver.di klagt nun erneut gegen den Einsatz von Beamten.

Es gibt aber auch die Verweigerung von Streikbrecherarbeiten. So weigerten sich z.B. Studenten in Hamburg für ihre Verhältnisse gut bezahlte Jobs anzunehmen als klar wurde, daß es um Streikbruch geht.

Daß mit entsprechendem Profit Kapital kühn wird bewies die Truppe unter Postboss Appel am letzten Sonntag. Im Internet überschlugen sich Meldungen über Postboten und Paketzustellern, die an dem Tag Briefe und Päckchen zustellten. Insgesamt 11.000 „Freiwillige“ hatte der Konzern mobilisiert und damit mit nicht genehmigter Sonntagsarbeit Streikbruch organisiert.  Die fadenscheinige Begründung war, daß das Arbeitszeitgesetz Ausnahmen zulasse, wenn z.B. der Verlust leicht verderblicher Güter drohe, die ja auch in Päckchen und Briefen sein könnten. Soweit bekannt lag in keinem Bundesland bei den zuständigen Stellen ein dem entsprechender Antrag vor. Da liegt der Ball nun im Spielfeld der  Länder und letztendlich bei den Landesregierungen, diese Verstöße gegen Arbeitszeitgesetz und Sonntagsschutz  entsprechend zu ahnden. Alles andere wäre de facto ein Eingriff ins Streikrecht zugunsten des Kapitals.

Ver.di wirft der Post vor, mit der Ausgliederung Verträge zu verletzten. 2011 hatte ver.di für die Zusage, bis 2016 maximal 10% der Zustellbezirke auszugliedern, Zugeständnisse bei arbeitsfreien Tagen und bezahlten Kurzpausen im Wert von 160 Mio. Euro gemacht. Nun wollen Appel und Konsorten das wegen angeblicher wirtschaftlicher Notwendigkeiten vom Tisch wischen, natürlich ohne Gegenleistung. Ein letztes Angebot von ver.di vor Beginn der Erzwingungsstreiks, in dieser Tarifrunde auf Lohnerhöhungen zu verzichten, wenn die DHL-Delivery-Beschäftigten unter dem Dach des Haustarifvertrags blieben, ließen die Postmanager unbeantwortet. Angeblich war die Bonner Konzernzentrale nicht in der Lage, es in 48 Stunden zu prüfen. Bitter auch für alle Auszubildenden, denen nur noch in der Billigtochter feste Arbeitsplätze angeboten werden. Wie bei Amazon, soll hier nur der Tarifvertrag für Speditionen und Logistik gelten.

Nach 6 Verhandlungsrunden konnte ver.di darauf nur mit dem Aufruf zum Erzwingungsstreik antworten. Diese wurden nun täglich ausgeweitet, zunächst in den Briefzentren, dann in der Zustellung und in den Paketzentren. Anders als z.B. der Streik der Erzieher*innen, wird das die Unternehmensseite empfindlich treffen, weil der boomende Internethandel damit teilweise zum Erliegen gebracht werden kann. Jetzt erscheinen in einschlägigen Medien die Rührgeschichten von der Oma, die durch den Poststreik die Geburt ihres Enkels verpaßt, von den lebenswichtigen Medikamenten oder den in Italien vergessenen Pässen die nicht ankommen oder von der fehlenden Geburtsurkunde, die angeblich eine Hochzeit platzen ließ. Als hätten die Postbenutzer noch nicht mitbekommen, daß bei der Post seit drei Wochen gestreikt wird, als wären sie zu blöd, andere Beförderungsmöglichkeiten und elektronische Medien zu nutzen.  Damit träfe der Streik nicht sie, sondern die Post durch Einnahmeausfälle. Wie sich Niedriglöhne und Befristungen auf die Kinder und Enkel der Postler*innen auswirken, interessiert jene in der Bonner Konzernzentrale und in diversen Redaktionen nicht, für die der Profit das Maß aller Dinge ist. Daß es uns interessiert und wir solidarisch sind, das sollten wir unseren Briefträgern und Paketzustellern in den nächsten Tagen auch mal persönlich sagen, ob sie nun in einigen Gegenden noch an die Haustür kommen oder im Streik stehen.

Text: Volker Metzroth    Foto: Marco Verch


 

Rückblick

Die Deutsche Post galt ja mal laut Lenin als Beispiel effizienter Organisation, auch wenn dem früheren Sondervermögen des Bundes nicht nur in Liedtexten der Ruf vorauseilte, bei ihm ginge es nicht so schnell. Auf jeden Fall überzog sie das Land mit einem Netz von Poststellen bis ins kleinste Dorf. Damit war sie nicht nur für Bürger und Wirtschaft, die Interessen letzterer genossen natürlich Priorität, ein wichtiger Bestandteil der Daseinsvorsorge. Sie war eine Goldgrube für den Staat, führte sie doch selbst in Jahren des Defizits von ihren Bruttoeinnahmen 10% an den Finanzminister ab, was heute über 5 Mrd. Euro von der gelben Post alleine ohne Telekom und Postbank wären. Sie bezahlte ihre Arbeiter, Angestellten und Beamten samt Pensionen ohne einen Pfennig Steuergeld aus ihrem eigenen Haushalt. Vor der Dreiteilung in Bank, Telekom und Post hatte sie 500.000 Beschäftigte, gut die Hälfte bei der gelben Post. Zu 70% in der Deutschen Postgewerkschaft organisiert, waren die Beschäftigten zwar keine Spitzenverdiener, hatten aber relativ sichere und regulierte Arbeitsplätze. Knapp 2/3 waren Beamte, 90% davon aber im einfachen und mittleren Dienst, von denen auch nur ganz wenige nach langen Dienstjahren Gehälter erreichten, mit denen Akademiker nach dem Studium anfingen.  Der Dreiteilung folgte die Privatisierung und die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Die Kunden spürten das u.a. an der Schließung zahlreicher Poststellen vor allem auf dem Land und dem Verschwinden eines Großteils der Briefkästen. Die Post begann dann national und international mit Zukäufen in der Post- und Logistikbranche und entwickelte sich zum Global Player.