Wirtschaft

17.02.2012: Bei Nokia Siemens Networks lassen die Beschäftigten nicht nach im Widerstand gegen die Abbau- und Schließungspläne. Nachdem die Kolleginnen und Kollegen bei NSN München in den zurückliegenden zwei Wochen bei klirrender Kälte fast täglich auf der Straße waren - Mahnwachen, Menschenketten, Demonstrationen - war heute der "Red Tshirt Day - alle tragen rot". Am Montag gingen die Beitrittserklärungen zur IG Metall aus, so groß ist der Andrang. „Wir haben kapiert, dass wir die Gewerkschaft brauchen“, sagt einer. Alle gehen davon aus, dass nächste Woche ein Organisationsgrad von 50 Prozent und damit die Streikfähigkeit erreicht wird. Der Betrieb wird inzwischen mit seinen kreativ gestalteten Plakaten (siehe Fotos) zum Objekt der Fotografen und der Nachbarschaft. Die wachsende Solidarität kommt aus allen gesellschaftlichen Bereichen.

Mahnwache vor dem NSN-Vorstandsgebäude, am nächsten Tag Menschenkette durch den Betrieb, am darauffolgenden Tag Demonstration um das Werksgelände, angeführt von einem Transparent mit der Aufschrift "Siemens, wir kommen". Und immer zwischen 1.500 und 2.500 Kolleginnen und Kollegen dabei. Dann wieder Mahnwache und Beteiligung an der Demonstration der IG Metall zum Auftakt der Tarifrunde. In der dritten Woche geht das so. Mit diesem massiven Widerstand haben NSN und der Mutterkonzern Siemens nicht gerechnet.

Der Protest richtet sich zum einen gegen das NSN-Management mit Rajeev Suri an der Spitze, das die Nokia-Siemens-Betriebe in Deutschland systematisch ausgeblutet und Entwicklung und Produktion schleichend nach Indien und China verlagert hat. Zum anderen richtet sich die Forderung an Siemens, die passive Beobachterrolle aufzugeben und sich vom Alibi der operativen Führung durch Nokia zu verabschieden. Die Beschäftigten der ehemalige Siemens-Kommunikationssparte wollen Siemens nicht aus der Verantwortung für die Zukunft von NSN und ihre Arbeitsplätze entlassen. "Eigentum verpflichtet", heißt es in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.

NSN-Belegschaft ist bereit zum Streik
"Streikfähig werden" - war das durchgängige Motto bei den Aktionen. In einem high-tech Betrieb keine Selbstverständlichkeit, liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad doch meist nur geringfügig über dem Krankenstand. Aber jetzt ist es so weit. Die selbst gestellte Hürde eines fünfzigprozentigen Organisationsgrads ist erreicht

Die IG Metall Mitgliederversammlung hat nun die IG Metall beauftragt, in der kommenden Woche das NSN-Management zu Verhandlungen über einen Zukunftstarifvertrag zur Sicherung des Standortes und der Arbeitsplätze aufzufordern. Um den Druck zu erhöhen gehen die Aktionen weiter.

Alles, aber keine Särge
"Jeden Tag eine andere Aktion", kündigte Carsten Riedl, Leiter der IGM-Vertrauensleute, an. So zum Beispiel Faschingsumzug und Büttenrede am Faschingsdienstag; an einem anderen Tag bringen alle Beschäftigten ihre Kinder mit zur Arbeit, damit diese sehen wo die Eltern arbeiten. Betriebsrat und IG Metall werden sich um ein Kinderprogramm für diesen Tag kümmern. An einem anderen Tag wird eine "Klagemauer" errichtet, auf der die Betriebsräte und Beschäftigten aus Münchner Betrieben ihre Unterschrift der Solidarität hinterlassen können. Und am 28. Februar geht es zur Konzernzentrale der Siemens AG, um dort den Druck zu erhöhen. "Wir machen vielfältige, kreative Aktionen", kündigte Riedl an. "Nur eines werden wir nicht machen: in Särgen unsere Arbeitsplätze zu Grabe tragen! Denn wir bleiben hier!"

Fenster des Widerstandes
"Wir bleiben hier - dafür kämpfen wir" - dies kann man bei einem Gang durch das Betriebsgelände besichtigen. In nahezu allen Fenstern kleben selbst gestaltet Losungen, Plakate und Zeichnungen, die vom Widerstandsgeist künden. Meist in englischer Sprache, wie es zu dieser aus allen möglichen Ländern bunt zusammengewürfelten Belegschaft passt.

Weihbischof Siebler und Linksparteiabgeordnete Gohlke: "Kämpfen Sie!"
Er wolle beim NSN-Vorstand „kritisch nachfragen“, hatte der Münchner SPD-Wirtschaftsreferent Reiter der Presse gegnüber verkündet. Da legte der Weihbischof der Erzdiözese München/Freising, Engelbert Siebler, bei der Versammlung der IG MetallerInnen bei NSN einen drauf: "Protestieren Sie! Kämpfen Sie", forderte er in einer Rede an die NSN-KollegInnen, als er die Grüße von Kardinal Marx überbrachte. NSN sei ein exemplarisches Beispiel wie die Unternehmen nur den Gewinn der Aktionäre und der Finanzunternehmen im Blick haben und die Arbeitnehmer dabei die Verlierer seien. Nur durch Protest könne die Gesellschaft darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Firmen soziale Verantwortung zu übernehmen hätten. "Lassen Sie nicht zu, dass die Unternehmen nur nach Cash und Money organisiert und die Menschen dafür auf die Straße gesetzt werden", rief er auf.

Dem schloss sich die Münchner Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE, Nicole Gohlke, an. "Eigentum verpflichtet" - dieser Verfassungsanspruch werde nicht geschenkt, sondern müsse erkämpft werden. Sie prangerte den Skandal an, dass Firmen wie NSN und Siemens aus Steuermittel Forschungsbeihilfen erhalten, dies aber nicht mit Beschäftigungsauflagen verbunden sei. Siemens habe im zurückliegenden Jahr aus dem operativen Geschäft einen Bruttorekordgewinn von 9,1 Mrd. Euro eingefahren. Da sei es mehr als legitim, zu fordern, dass Siemens in die Verantwortung für den Erhalt der Arbeitsplätze genommen werde.
Mit der Demonstration am 28. Februar zur Zentrale des Siemens-Konzerns am Wittelsbacherplatz werden die NSN-Beschäftigten diese Verantwortung einfordern.

txt: lm
foto: lm

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