Wirtschaft

rep87_grafik29.12.2011: Seit Jahren folgt eine Krise auf die andere. Von der Immobilien- zur Bankenkrise, von der Wirtschafts- zur Krise der Schuldnerländer und der Staatsfinanzen, von der Eurokrise wieder zur Bankenkrise und wieder zurück. Der globale Kapitalismus ist gefangen in ständigen Krisenzyklen und findet keinen Ausweg. Der Betrachter, gerade auch der engagierte und zur Aktivität bereite, steht vor einer Fülle von Begriffen, die in hohem Tempo und mit großer Intensität auf ihn einprasseln. Was gestern noch subprime-Kredite waren, sind heute schon Credit Default Swaps und andere Derivate, sind Leerverkäufe und Treasuries, Kernkapitalquoten und Basel I, II und III. Die isw-Redaktion legt nun ein "ABC" vor, worin über 70 der meistgebrauchten und wichtigsten Stichworte der Schulden- und Finanzkrise erläutert werden. (Redaktionsschluss: Ende November 2011)

Es ging dem isw dabei nicht in erster Linie um eine "lexikalische" Definition der Sachverhalte, sondern um ihren je speziellen "Beitrag" zur Krise und zur Krisenhaftigkeit des an seine Grenzen stoßenden neoliberalen Akkumulationsmodells des Kapitalismus. Es zeigt sich, dass der Kapitalismus keine Lösungen auf die von ihm produzierten Probleme hat. Nichts bewies dies mehr als der "EU-Gipfel" im Dezember 2011.

 

Auf die Gründe der Existenzkrise des Euro ging der Gipfel nur insofern ein, als er sie weiter verschärfte. Der erste Grund liegt in den "volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten" zwischen den Euro-Ländern. Deutschland, Luxemburg, Niederlande und Finnland haben beträchtliche Exportüberschüsse und die Problemländer Griechenland, Portugal, Italien, Spanien und Frankreich haben zum Teil gewaltige Handelsdefizite. Die vier Überschussländer haben den Defizitländern Kredite über 630 Milliarden Euro gewährt, damit sie die Waren aus den "wettbewerbsstärkeren" Ländern bezahlen konnten. Nun werden die Defizitländer mit Austerity-Programmen weiter in die Rezession getrieben, womit die Wettbewerbsüberlegenheit der Überschussländer weiter ausgebaut wird. Von einer kräftigen Erhöhung der Binnennachfrage, also vor allem der Masseneinkommen, in den bisherigen Überschussländern ist ebenso wenig die Rede wie von einem fundamentalen Aufbauprogramm für die Defizitländer.

Statt die Masseneinkommen zu erhöhen und die steuerlichen Abgaben für Reiche und Unternehmen drastisch hinauf zu setzen – ein ausgeglichener Haushalt entsteht nicht nur durch Streichen der öffentlichen Ausgaben, sondern ebenso durch eine Erhöhung der Steuern an der richtigen Stelle – erklären die Regierungen aus Berlin und Paris, es ginge darum, "das Vertrauen der Märkte" wieder zu gewinnen. Das heißt nichts anderes, als die Völker zu massakrieren, um Kredite und Höchstzinsen bezahlen zu können. Allein der italienische Staat muss im 1. Quartal 2012 über 100 Milliarden Euro an Krediten und Zinsen zurückzahlen. Wenn man dieses Feld den "Marktkräften" überlässt, gar noch Besonderes leisten will, um "ihr Vertrauen" zu gewinnen, ist der Marsch in die Katastrophe vorgezeichnet. Die Völker verarmen, die Staaten brechen zusammen, nichts blüht mehr außer den Zinsen. Und die Reste an Demokratie gehen auf in einer "Fiskalunion", die von Berlin und Paris via Brüssel das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente aushebelt.

Beim Kampf gegen dieses Katastrophenprogramm wird das isw-ABC hoffentlich eine effektive Hilfe sein.

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Das isw ist auf der Rosa Luxemburg Konferenz der JW, der LLL-Feier der DKP und der LLL-Demo in Berlin mit einem eigenen Stand vertreten.

Schuldenschnitt (Haircut)

Unter Schuldenschnitt (engl. Haircut) wird ein gänzlicher oder teilweiser Schuldenerlass verstanden für Staaten, Unternehmen oder Privatpersonen, die ihre Schulden nicht mehr bedienen können. (-> Umschuldung) Beim Gipfel der Euro-Regierungschefs im Oktober 2011 wurde erstmals ein Schuldenschnitt (engl. Haircut) für ein Euroland beschlossen. Da Griechenland offenkundig nicht imstande war, seine gewaltigen Staatsschulden zurückzuzahlen, sollten die Gläubiger auf 50 % der nominell rund 200 Milliarden Euro teuren Kredittitel verzichten. Die privaten Gläubiger – Banken, Investmentfirmen und Versicherer – sollten ihren Verzicht "freiwillig" leisten. Ein erzwungener Verzicht wäre von den Ratingfirmen als "default", als -> Zahlungsausfall gewertet worden, worauf die -> CDS – Credit Default Swaps fällig geworden wären, was die Spekulanten (-> Spekulation) empfindlich getroffen hätte. So konnten die Finanzinstitute sich über die Garantie von 50 % der Anleihen freuen, deren realer Kurs längst unter diese Marke gefallen war. Die privaten Gläubiger hatten auf etwas verzichtet, was ihnen längst nicht mehr gehörte. Für Griechenland bedeutet der Schuldenschnitt eine Verringerung ihrer Zins- und Tilgungsleistungen, ohne dass das Land dadurch instand gesetzt wäre, aus eigener Kraft die Restschulden zu bedienen, nicht zu reden von den notwendigen Aufbauleistungen in der nationalen Wirtschaft.

Ein Schuldenschnitt ist generell für die meisten der hochverschuldeten Euroländer nötig. Diese Reduzierung der Schulden kann neben der höheren Besteuerung von Unternehmen und Reichen ein Hauptfaktor der finanziellen Gesundung der Staaten werden.

Ein bekanntes Beispiel für den Schuldenschnitt bei einem zahlungsunfähigen Staat liefert Argentinien, dem im Lauf seiner Zahlungskrise 1998 – 2002 rund 50 Prozent seiner Schulden erlassen wurden. (-> Insolvenz)