Analysen

PKW-Schrotthalde24.11.2017: Klimapolitik: Priorität hat der Ausstieg aus der Kohle ++ Aber: Auf den Verkehrssektor entfallen ein Fünftel der Treibhausgasemissionen ++ "Umsteuern erforderlich" überschreibt der Umweltrat seine neue Studie zur Verkehrspolitik

 

Es wird immer unwahrscheinlicher, dass das Ziel, die Klimaerwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, eingehalten werden kann. Zwar hat die Kanzlerin hat bei ihrer Rede auf der Weltklimakonferenz wieder einmal betont, dass Deutschland das 40-Prozent-Ziel erreichen möchte, also seine CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Sie hat eingeräumt, dass dies nur zu erreichen ist, wenn schnell aus der Kohle ausgestiegen wird. Um sofort hinzu zu setzen, dass nur "sehr schwer" zu erreichen sei.

Parallel zur Klimakonferenz und den Jamaika-Sondierungen haben die Autoindustrie und die deutsche Regierung eine Vorlage der EU-Kommission über neue CO2 Grenzwerte für PKWs so verwässert, wie die Autoindustrie das haben will. Entgegen der Eigendarstellung heizt Deutschland mit Unterstützung der Bundesregierung das Klima immer weiter auf.

Jetzt hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (Umweltrat), ein wissenschaftliches Beratungsgremium der Bundesregierung, wieder einmal in die Debatte eingegriffen In einem gestern (23.11.) veröffentlichten Sondergutachten fordert er ein "Umsteuern". "Der durch menschliche Aktivitäten verursachte Klimawandel hat bereits heute, bei einer globalen Mitteltemperatur, die gegenüber dem letzten Jahrhundert um etwa 1 °C erhöht ist, besorgniserregende Auswirkungen auf Mensch und Umwelt" heißt es in dem Gutachten. (Kurzfassung)

Wenn es nicht gelinge, den Temperaturanstieg auf "deutlich unter 2 Grad Celsius" zu begrenzen, "drohen dramatische, irreversible Folgen. Extremereignisse wie die schweren Stürme und Überschwemmungen des Jahres 2017 sollten ein Weckruf für die globale Weltgemeinschaft sein", warnt der Umweltrat.

Um das zugesagte Ziel einer Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 % gegenüber 1990 zu erreichen - der Umweltrat " empfiehlt eine Minderung um 95 % anzustreben" - "ist eine umfassende Dekarbonisierung, also ein weitestgehender Verzicht auf die Verbrennung fossiler Energieträger, erforderlich. Dabei stehen alle Sektoren in der Pflicht, ihren Treibhausgasausstoß drastisch zu senken."

Das Sondergutachten mit dem Titel "Umsteuern erforderlich: Klimaschutz im Verkehrssektor" befasst sich mit dem Verkehrssektor. "Der Verkehrssektor ist derzeit für etwa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich. Während in anderen Sektoren seit 1990 zum Teil deutliche Emissionsminderungen erzielt wurden, sind die Emissionen des Verkehrs im gleichen Zeitraum sogar leicht angestiegen. Der größte Teil der Treibhausgasemissionen stammt dabei aus dem Straßenverkehr. Verbesserungen der Fahrzeugeffizienz sind durch die gleichzeitige Zunahme der Verkehrsleistung, der Motorenleistung und des Gewichts der Fahrzeuge aufgezehrt worden." (Kurzfassung)

Der Umweltrat weist darauf hin, dass es beim Straßenverkehr nicht nur um den CO2-Ausstoß geht und dass die Belastungen auch eine soziale Frage sind:

"Insbesondere der Straßenverkehr hat viele negative Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Gesundheit. Mit etwa 38 % im Jahr 2015 war er der Hauptemittent von anthropogenen Stickstoffoxiden (NOx). In den Städten wird der zulässige Jahresbelastungshöchstwert für Stickstoffdioxid (NO2) vielerorts überschritten. Auch die Feinstaubbelastung wird wesentlich durch den Straßenverkehr mitverursacht. Fast die Hälfte der Menschen fühlt sich in ihrem Wohnumfeld durch Straßenverkehrslärm belästigt. Der Verkehr nimmt zudem erhebliche Flächen in Anspruch.
Einkommensschwache Haushalte sind in besonderem Maße von Luft- und Lärmbelastungen sowie vom Fehlen hochwertiger Freiflächen betroffen.
Schließlich trägt der Verkehr stark zum Verlust und zur Fragmentierung von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere bei."

Der Umweltrat fordert eine Verkehrswende, denn diese " birgt die Chance, diese vielfältigen Belastungen deutlich zu mindern und die Lebensbedingungen der Menschen positiv zu beeinflussen."

Zentrales Element: Verringerung des motorisierten Individualverkehrs

"Zentrales Element eines klimagerechten und nachhaltigen Verkehrssystems muss die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowie die Stärkung intelligenter und integrierter Mobilitätslösungen sein. Verkehrsvermeidung und eine Verlagerung auf Schiene, ÖPNV, Rad- sowie Fußverkehr verringern nicht nur die Emission von Treibhausgasen und den Energieverbrauch, sondern mindern auch weitere Probleme des Verkehrs wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfallrisiken", heißt es in dem Gutachten.

Der Umweltrat setzt zwar auf den Umstieg zu E-Mobilität, weist aber auch auf die Probleme hin. Da noch auf absehbare Zeit fossile Antriebe dominieren werden, müsse "die Energieeffizienz von Pkw und Lkw mit Verbrennungsmotoren verbessert werden, da in den nächsten eineinhalb Dekaden noch eine große Anzahl dieser Fahrzeuge neu zugelassen werden." Die künftige Bundesregierung wird aufgefordert, sich für "anspruchsvolle Zielvorgaben für CO2-Flottengrenzwerte" einzusetzen - und zwar auch für LKW, für die es auf EU-Ebene bisher keine Effizienzvorgaben gib. Dabei sind schweren Lkw für circa 80% der CO2-Emissionen im Straßengüterverkehr verantwortlich.

Strom kommt nicht aus der Steckdose

Mit dem Übergang zu E-Mobilität müsse ein beschleunigter Umstieg auf erneuerbare Energien verbunden sein. Zwar würden elektrische Antrieb lokal keine Schadstoffe emittieren, aber ein großflächiger Umstieg auf Elektroantrieb würde "mit einem um ein Vielfaches größeren Strombedarf einhergehen", wirft der Umweltrat ein und warnt:  "Eine stark steigende Stromnachfrage hätte nicht nur enorme ökologische, sondern auch hohe wirtschaftliche Kosten. Eine verstärkte Nutzung von Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse würde zur Verschärfung von Nutzungskonkurrenzen mit der Nahrungsmittelerzeugung sowie der stofflichen Nutzung führen und wäre oftmals weder sozial noch ökologisch nachhaltig."

Trotzdem tritt der Umweltrat den Umstieg auf Elektroantrieb ein. Um diesen Übergang zu beschleunigen, empfiehlt er nach chinesischem Vorbild die Einführung einer Quote für elektrische Antriebe.

Seltsamerweise empfiehlt der Umweltrat für den Straßengüterverkehr den Ausbau eines Oberleitungsnetzes - auch auf Autobahnen ("Elektrifizierung eines Drittels des deutschen Autobahnnetzes")- für den Betrieb von Oberleitungs-LKWs. Dabei gibt es schon Verkehrsnetze mit Oberleitung: die Bahn. Notwendig wäre anstatt des Aufbaus eines zweiten Oberleitungsnetzes, die Verlagerung von der Straße auf die Schiene. Dort gibt es weitgehend auch bereits den Elektroantrieb.

Externalisierung

Bei E-Mobilität werden statt Erdöl andere Rohstoffe für die Motor- und Batterietechnik sowie für die Erzeugung erneuerbarer Energien benötigt werden. Der Bedarf an Lithium, Seltenen Erden, Kobalt, Platin und Kupfer wird deutlich steigen. "Folglich wird ein Großteil der mit dem Einsatz von Klimaschutztechnologien einhergehenden Umweltwirkungen in Drittländern und nicht in Deutschland bzw. der EU verursacht" heißt es in der Langfassung des Gutachtens (S.30)

Und weiter: "In einem Großteil der Abbauländer sind die Schritte der Erzgewinnung und ­verarbeitung mit hohen Schadstoffemissionen  in Boden, Wasser und Luft sowie einem hohen Flächen­, Wasser­ und Energieverbrauch verbunden. … Weiterhin fallen erhebliche Bergbauabfallmengen an, die teilweise toxische Eigenschaften  aufweisen. Dabei wirken mit Ausnahme der Treibhausgasemissionen alle mit der Rohstoffgewinnung  verbundenen  Umweltbelastungen überwiegend lokal oder regional. Die Folgen sind eine Destabilisierung der Ökosysteme bis hin zu einer Vernichtung von Lebensräumen. … Niedrige Umwelt­ und schwache Sozialstandards in den Abbauregionen sowie deren ungenügende Durchsetzung führen häufig zu gravierenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen für die regionale Bevölkerung." (Langfassung, S.30 u.f.)

Nicht erwähnt wird, dass bereits heute Kriege und Bürgerkriege um diese Rohstoffe geführt werden, z.B. im Kongo um den Zugriff auf Kobalt.

E-Mobilität bringt nicht die neue, schöne Welt. Sie kann sogar den verhängnisvollen Entwicklungspfad des Individualverkehrsverfestigen und "nachhaltig" machen. In den kapitalistisch geprägten "Konsum"gesellschaften ist das Auto nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern "Statussymbol", Begriff der "Freiheit". Ohne diesen Kulturbruch und eine Politik, die den Öffentlichen Personenverkehr massiv fördert und attraktiv macht sowie Arbeit und Wohnen auch im ländlichen Raum näher zusammenbringt, wird der notwendige Wandel nicht zu erreichen sein.

"Das automobilgeprägte Verkehrssystem in Deutschland stellt ein seit Jahrzehnten stabiles Gefüge dar, bei dem Veränderungen schwer zu erreichen sind", stellt der Umweltrat fest. Es ist aber nicht nur das "automobilgeprägte Verkehrssystem", sondern auch die dahinter stehende Macht der Automobilindustrie und ihrer Lobby.

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