Aus Bewegungen und Parteien

Kundgebung-gegen-rechts-Berlin 101.02.2017: In der Hufeisen-Siedlung Berlin-Britz, einem der Neuköllner Schwerpunktgebiete von gezielten rechten Anschlägen gegen couragierte Antifaschisten, zeigten am 28. Januar an die 500 Anwohner, Gewerkschafter und Parteienvertreter "Gesicht gegen die Feinde der Demokratie“. Ein breites Bündnis lud zur Kundgebung ein, allen voran die Berliner IG Metall und deren Bildungszentrum, der DGB, ver.di, die IG BAU sowie die SPD, die Grüne Partei, DIE LINKE, dazu die Nachbarschaftsinitiative "Hufeisern gegen Rechts“ und eine antifaschistische Bildungskampagne der Buchhändler.

 

In den Nächten zum 15. und zum 23. Januar brannten in Britz die Autos von Mirjam Blumenthal, Bezirks-Parlamentarierin der SPD, die sich auch um die Jugendorganisation "Die Falken“ kümmert, von Detlef Fendt, Metallgewerkschafter, Kommunist und Mitglied der marxistischen linken, sowie von Heinz Ostermann, als Buchhändler maßgeblich beteiligt an einer laufenden Aufklärungsinitiative von zwölf Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus. (Brandanschlag auf Auto von Berliner Antifaschisten)

Bereits am 13. Dezember 2016, nach der ersten Serie der gut angenommenen Lesungs-, Diskussions- und Workshopreihe zur kritischen Auseinandersetzung mit faschistischer Ideologie und AfD-Einsickerungen, waren Steine gegen die Schaufensterscheibe von Ostermanns  Buchladen Leporello im Ortsteil Rudow geflogen, und das linke Café "K-Fetisch“ brannte. Für die Schäden rechter Attacken zahlen Versicherungen so gut wie nichts. Somit drückt sich jetzt die sprichwörtliche Solidarität und Hilfsbereitschaft nicht allein in neuen örtlichen Angeboten für weitergehende Lese- und Diskussionsabende aus, sondern auch in einer Spendenkampagne zur schnellen Neuanschaffung des dafür fehlenden Transportfahrzeugs.

Mirjam Blumenthal, seit 27. Januar unter Polizeischutz stehend, stellte vor den Teilnehmern der Kundgebung klar: Seit den Brandanschlägen von 2011/2012 gegen das Neuköllner Jugendhaus der Falken "Anton Schmaus“ und gegen Autos seiner Mitarbeiterinnen reicht es nicht mehr, von "Auseinandersetzungen zwischen rechts und links“ zu sprechen. (Die Falken standen auch auf der Liste möglicher Anschlagsziele des NSU, H.F.) Der Mehrheit der Bevölkerung sollte bewusst werden, dass rechtes Gedankengut und rechter Terror niemals zu einer gesellschaftlichen "Alternative“ führen dürfen.

Satzung der IG Metall und Grundgesetz-Praxis

Der Autobauer im "Hufeisen“ Detlef Fendt, als Rentner ehrenamtlich für die Bildungsarbeit der IG Metall tätig, war über viele Jahre Leiter des gewerkschaftlichen Vertrauenskörpers im Mercedes-Benz Werk Berlin-Marienfelde. Das gesamte Berufsleben verbrachte er in diesem Betrieb, seinen jetzt total zerstörten Oldtimer-Mercedes hatte er kürzlich in privater Kleinarbeit neu aufgebaut. "Ich bin nicht damit einverstanden, dass ihn die Nazis in ihrem Jubel über das abgelehnte NPD-Verbotsverfahren jetzt als Kundgebung-gegen-rechts-Berlin 3‚Kohlenanzünder’ für ihr Freudenfeuer benutzten“, rief er aus. "Fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehend“ forderte er deshalb die Anwendung des faktisch eliminierten Artikels 139 GG zur Fortgeltung der Entnazifizierung ein. Statt ein Verbot der NPD nach dem maßgeblichen juristischen Kommentar zu den Rechtsvorschriften für "obsolet“ zu halten, gelte es die Vorschrift konsequent gegen alle wieder oder neu erstarkende neofaschistische Parteien und Organisationen anzuwenden. Die Satzung der IG Metall, im Oktober 2015 vom 23. Ordentlichen Gewerkschaftstag beschlossen, formuliert in Paragraf 2, Absatz 3 ihre Aufgaben und Ziele so: "Demokratisierung der Wirtschaft unter Fernhaltung von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen“. Dete Fendt: "Wir haben hier ein breites Bündnis mit unseren Nachbarn, partei- und gewerkschaftsübergreifend. Denn mit diesen Angriffen ist unser funktionierender Zusammenhalt gemeint, nicht bloß ein paar ausgesuchte Leute.“

Klaus Abel, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin, begründet die antifaschistische Verpflichtung der Einzelgewerkschaften mit dem Blick in die Geschichte des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) ab 30. Januar 1933. Abwarten und Taktieren waren für dessen Leitung kein Ruhmesblatt, sondern ein Kotau vor dem Nazi-Regime. Mit dem Erstürmen des Gewerkschaftshauses durch die SA am 2. Mai 1933, dem Verbot und Enteignung folgten, wurde auch die gewerkschaftliche Bruno-Taut-Siedlung wie der vormalige ADGB selbst in die faschistische Deutsche Arbeitsfront (DAF) überführt.

An die ernsthaften politischen Konsequenzen bei der Neugründung der Gewerkschaften 1945 sei gerade jetzt wieder anzuknüpfen, so Abel. "Gewerkschaften sind nicht nur für den Tarifvertrag da. Menschlichkeit gehört zu Grundüberzeugungen unserer Arbeit. Solidarität wird immer groß geschrieben.“ Deshalb bekennt sich Klaus Abel als "Mitaufrufer aus tiefster Überzeugung“ für das breite Bündnis. Am 23. Januar um 3:05 Uhr erhielt er die SMS-Nachricht seines Kollegen Detlef Fendt, suchte zu helfen, stellte sich als Zeuge bei der Polizei zur Verfügung. Das gewerkschaftlich-politische Engagement führte beide schon Anfang der 70er Jahre in gegenüberliegenden Betrieben zusammen und hält bis heute. Auch für Abel ist es nicht hinnehmbar, dass 75 Prozent der AfD-Sympathisanten, darunter Kollegen, diese Partei aus Protest wählen. "Uns gefallen einige Verhältnisse in Bundesrepublik auch nicht. Dem stellen wir aber als IG Metall unser eigenes Politikmodell entgegen. Es beruht auf Sicherheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung.“  

Solidarität mit Angegriffenen, gleich welcher Nationalität

Heiko Glawe, DGB-Geschäftsführer für den Landesverband Berlin-Brandenburg, verweist auf den im Vorjahr begangenen 30. Jahrestag der Aktion "Die gelbe Hand – mach meinen Kumpel nicht an“. Sehr aktuell steht sie dafür, was überall kontinuierlich geschehen muss – sich vor konkret bedrohte Kollegen zu stellen, gleich welcher Nationalität.Kundgebung-gegen-rechts-Berlin 2

"Von 2007 bis Mitte 2016 gab es hier vor Ort in Neukölln eine polizeiliche Ermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus (EG Rex, H.F.) mit einem deutlichen Aufklärungs-Schwerpunkt von rechten Anschlägen. Diese Ermittlungsgruppe wurde im Juli, kurz vor den Berliner Wahlen, auf Veranlassung des damaligen CDU-Innensenators Henkel eingestellt, ihr Personal in andere Polizeidienststellen aufgeteilt.“ Die deutlichen Folgen: Seit Oktober 2016, noch vor der Bildung der Berliner R2G-Koalitionsregierung, gab es 20 neue rechte Straftaten, so Glawe. Als dies am 25. Januar in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) diskutiert wurde,  stimmten alle Parteien dafür, dass die eingestellte Ermittlungsgruppe wieder eingesetzt werden soll - AfD und CDU stimmten dagegen und sorgten für einen Eklat. "Wir brauchen nicht nur Solidarität mit den hier Angegriffenen und ihren Familien, sondern auch mit den Geflüchteten, ihren Schutz vor Angriffen, menschenwürdige Unterbringung.“

In dieser Frage stärkte ein Grünen-Abgeordneter für Neukölln, Bernd Szczepanski, den Aktivisten den Rücken. Wie auch schon vorher in seiner Zeit als Sozialstadtrat. Der neue Innensenator Andreas Geisel, SPD, reagiere mit seiner Ankündigung, eine neue, speziell für Neukölln zuständige Kommission von fünf Ermittlern einzusetzen, auf eine Forderung der neu gewählten BVV Berlin-Neukölln. Im Zusammenhang damit habe die BVV beschlossen, einen Gedenkort für Burak Bektas einzurichten. Der heimtückische Mörder, der ohne erkennbaren äußeren Anlass am 5. April 2012 nachts auf offener Straße den damals 22 Jahre alten Burak mit einer Schusswaffe tötete und zwei weitere türkische Jugendliche schwer verletzte, wurde bisher noch immer nicht ermittelt.

Kein NPD-Verbot: "ein Fehler“

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen ein NPD-Verbotsverfahren sei ein Fehler, denn Nazis und ihre Sympathisanten handeln, sie artikulieren sich nicht allein als Verfassungsfeinde. So Peter Schrott, langjährig stellvertretender Vorsitzender im ver.di Bezirk Berlin, jetzt Vorsitzender der ver.di-Senioren im Fachbereich "Medien, Kunst, Industrie“ und in der Ortsgruppe Neukölln aktiv. Nach dem zeitnahen Auftritt auf einer Soli-Demo in Berlin-Mitte "Für Uni von unten und für Recht auf Stadt“ kam er noch rechtzeitig zur Kundgebung nach Britz, um auch hier die politische Schieflage zu thematisieren. Einerseits wird Andrej Holms außerordentliche Kündigung sowohl als Bau-Staatssekretär als auch als Dozent der Humboldt-Universität mit künstlich herbeigeredeten Zweifeln an seiner politischen Vertrauenswürdigkeit begründet. Andererseits sind nicht nur die jüngsten öffentlichen Äußerungen des Thüringer AfD-Sprechers Björn Höcke skandalös, sondern auch der zuständige Verfassungsschutz, der sie als noch gesellschaftsfähig einstuft. Sie sind geeignet, das Überheblichkeitspotenzial von 338 rechten parlamentarischen Mandatsträgern zu steigern. Die meisten von ihnen sind in der AfD, mit besonderem Schwerpunkt in östlichen Landesteilen.

"Was ist los hier im Kiez Britz-Neukölln“, fragte die Sprecherin der Anwohner-Initiative Hufeisern gegen Rechts, Christine Schott. Sie persönlich und ihre Kinder waren in den Jahren 2011/2012 in vier Angriffen gegen die Wohnung regelrecht Zielscheibe einer Verdrängungskampagne aus dem NPD-nahen Umfeld heraus. Unter anderem flogen Ziegelsteine durchs Fenster, wurden Zugänge mit feuchtem Zement versperrt. Nachbarn ließen sie nicht allein und gründeten mit Christine Schott zusammen diese Anwohner-Initiative. Sie soll und muss stärker werden. "Für mich stellt sich das als eine kriminelle Anschlagsserie aus der rechten Szene dar. Sie bedroht den sozialen Frieden. Zusammen können wir den öffentlichen  Raum von der rechten Szene zurückholen.“

txt und fotos: Hilmar Franz