Deutschland

Seehofer-Orban-Erdogan20.07.2017: Bayerischer Landtag beschließt unbefristete Präventivhaft für "gefährliche Personen" ++ CSU-Innenminister: starker Staat gegen Extremisten und Chaoten ++ SPD enthält sich ++ CSU-Regierung will Lagerpflicht für Geflüchtete ++ staatlicher Mietwucher bei anerkannten AsylbewerberInnen ++ Landtag fürchtet um seine Reputation

 

Personen, die keine Straftat begangen haben, aber im Verdacht stehen, dies zu tun, können ohne zeitliche Befristung zur Vorbeugung eingesperrt werden können. Es geht hier nicht um die Türkei, Ungarn oder Russland. Dieses Gesetz zur Präventiv- oder Vorbeugehaft, früher Schutzhaft genannt, beschloss der Bayerische Landtag mit CSU-Mehrheit.

Statt einer konkreten Gefahr braucht es zukünftig nur noch eine drohende Gefahr, eine von der CSU-Regierung neu geschaffene Kategorie. Für eine drohende Gefahr muss die Begehung einer Straftat nicht mehr konkret erkennbar sein. Es reicht aus, wenn die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet ist, dass in überschaubarer Zukunft eine Straftat begangen wird. Diese »Gefährder« können dann bis zu drei Monate präventiv in Gewahrsam genommen werden. Bisher galt eine Höchstdauer von zwei Wochen, die nun völlig aufgehoben ist. Alle drei Monate muss die Haft von einem Richter überprüft werden. Theoretisch können Betroffene so jahrelang im Gefängnis sitzen, ohne ein Urteil. "Unendlichkeitshaft" nennt Heribert Prantl in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung diese Haft. Auch elektronische Fußfesseln sind Teil des Gesetzes.

Dass es mit dem Gesetz nicht nur um mögliche terroristische Anschläge geht, machte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) deutlich. Die Ausschreitungen beim G-20-Gipfel in Hamburg hätten gezeigt, dass man nicht zusehen dürfe, bis wirklich etwas passiere. Nicht der Staat bedrohe die Bürgerrechte, sondern "Extremisten und Chaoten". Nötig sei ein starker Staat, begründete der Innenminister das Gesetz.

"In Bayern kann man künftig, ohne dass eine Straftat vorliegt, schon wegen "drohender Gefahr", unbefristet in Haft genommen werden. Da nimmt sich vergleichsweise das schludrige Prozedere, mit dem einst Gustl Mollath in der Psychiatrie festgehalten wurde, schon fast vorbildlich aus.Bisher konnte die Vorbeugehaft in Bayern bis zu 14 Tage dauern, länger als anderswo. Künftig aber, nach der Reform des Polizeiaufgabengesetzes, können diese 14 Tage ewig dauern; es gibt keine Höchstfrist mehr; und die richterliche Kontrolle ist sehr unzureichend.Das alles ist eigentlich unvorstellbar; bei diesem Gesetz "zur Überwachung gefährlicher Personen" denkt man an Guantanamo, Erdogan oder die Entrechtsstaatlichung in Polen. Die Haft ad infinitum wurde aber im Münchner Landtag beschlossen. Die CSU sollte sich schämen; die Opposition, deren Aufstand nicht einmal ein Sturm im Wasserglas war, auch. Dieses Gesetz ist eine Schande für einen Rechtsstaat.Es führt im Übrigen auch die Fußfessel für Personen ein, von denen eine Gefahr ausgeht. Man sollte die Fessel, am besten auch für die Hände, den Abgeordneten anlegen, die für so ein Gesetz stimmen."
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 20.7.2017


Die SPD ist gespalten und enthielt sich. Ebenso die Freien Wähler. Dagegen stimmten die Grünen, deren Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze sagte, die CSU opfert "ein weiteres Stück unserer Bürgerrechte".

Dagegen stimmte auch die frühere Grüne und jetzt fraktionslose Abgeordnete Claudia Stamm, Ko-Vorsitzende der Partei mut. Sie meint, dass der Name "Gefährder-Gesetz" passt, denn es gefährdet den Rechtsstaat und untergräbt die Gewaltenteilung. Stamm fordert stattdessen Gewaltenteilung, keine Eingriffe in das Datengeheimnis, bessere Kontrolle von Geheimdiensten. Um Terror zu bekämpfen sei eine Stärkung der Rechtsstaatsprinzipien notwendig, nicht dessen Abschaffung. "Wir verteidigen unsere freiheitliche Gesellschaft nicht mit der Aushöhlung unserer Grundrechte", sagte sie in der Landtagsdebatte. Axel Schweiger, Vorstandsmitglied von mut: "Auf diese Weise kann eine Regierung künftig jede missliebige Person bequem aus dem Weg räumen. Das ist das Ende des Rechtsstaates und das Ende der Freiheit und alle schweigen."


Lagerpflicht für alle: Bayern will Flüchtlinge isolieren

Die bayerische Staatsregierung hat sich aber auch in der Asyl- und Flüchtlingspolitik Ungarn und die Türkei zum Vorbild genommen.

Das vom Bundestag beschlossene "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" ermächtigt die Bundesländer, grundsätzlich alle Abschiebelager-Ingolstadt BayFluechtlingsratAsylsuchenden zu verpflichten, bis zum Ende der Asylverfahren in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen zu bleiben. (links im Bild das Abschiebelager in Ingolstadt. Hier werden Menschen bereits jetzt für die Dauer ihres Aslyverfahrens einkaserniert. Foto: Bayerischer Flüchtlingsrat)

Bisher gilt das bei einer Unterbringung über sechs Monate hinaus nur für die sog. »sicheren« Herkunftsstaaten Serbien, Bosnien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo, Albanien, Senegal, Ghana. Doch das reicht der CSU-Landesregierung nicht: Jetzt sollen alle Asylbewerber erst einmal so lange wie möglich fernab der Unterstützungsstrukturen einkaserniert werden können. In diesen Internierungslagern gibt es keine sozialen Kontakte, keinen Zugang zu Arbeit und Schule, keine Berücksichtigung des Kindeswohls. Geflüchtete stehen sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung da. Ohne Kontakte kann kaum eine Begleitung bei Anhörungen stattfinden, der Zugang zu Rechtsbeistand wird erheblich erschwert. Petitionen oder die Inanspruchnahme der Härtefallkommission sind so nicht möglich. Integration wird bis aufs Letzte unmöglich gemacht – auch für Asylsuchende, deren Antrag positiv beschieden werden kann.

"Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Den kriegen wir nie wieder los“.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer


Und was für die CSU-Regierung mit am Wichtigsten ist: die HelferInnenkreise, die es allerorten in Bayern gibt, können ausgetrocknet werden. Denn in den HelferInnenkreisen erwächst für die CSU und ihre menschenfeindliche Politik eine ernsthafte Opposition. (Die Leisen werden laut - Zeit zu Handeln | Aus "Zeit zu handeln" wurde "mut")


27,80 Euro pro Quadratmeter: Geflüchtete werden vom Staat gnadenlos abkassiert

Flüchtlinge und Asylbewerber müssen für ihre Unterkunft selbst aufkommen, wenn sie über ein eigenes Einkommen verfügen. So ist es im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Die Höhe der Unterkunfts-Kosten legt jedes Bundesland als Gebühr fest - nach eigenem Ermessen.

In Bayern ist es für anerkannte Asylbewerber besonders teuer. Das bayerische Sozialministerium hat die Unterbringungsgebühren drastisch erhöht. So muss eine vierköpfige Familie für ein rund 20 Quadratmeter großes Zimmer statt 387,67 Euro künftig 642 Euro zahlen. Das TV-Magazin Kontraste recherchierte, dass anerkannte Flüchtlinge oder Asylbewerber in Bayern für ein Bett in einem 5-Mann-Zimmer mit Gemeinschaftsdusche und Gemeinschaftsküche monatlich knapp 30 Euro pro Quadratmeter zu zahlen haben. 27,80 Euro pro Quadratmeter müssen anerkannte Flüchtlinge in Zorneding, einem Vorort von München, in einer Asylbewerberunterkunft bezahlen, wenn sie nach der Anerkennung noch im Heim wohnen.

Das bayerische Sozialministerium sieht sich im Recht, denn jeder neu anerkannte Flüchtling erhalte eine Aufforderung, "in absehbarer Zeit aus der staatlichen Unterkunft auszuziehen". Der Freistaat verhalte sich sogar großzügig und schicke "niemanden in die Obdachlosigkeit". Umgekehrt aber müsse ein anerkannter Asylbewerber dafür eine Gebühr entrichten - wohlgemerkt keine Miete. Denn das wäre Mietwucher.

Geflüchtete, so informierten AsylhelferInnen beim 4. Oberbayerischen Asylgipfel in München, würden mittlerweile mit hohen Nachzahlungsforderungen konfrontiert. Geschildert wurde der Fall eines Syrers, dem Nachforderungen in Höhe von rund 6.000 Euro drohen. "Er wird also vom bayerischen Staat dafür bestraft, dass er schnellstmöglich für sich selbst gesorgt hat", sagte ein Helferkreisaktivist.

Die Geflüchteten sind dem staatlichen "Wuchermieten" schutzlos ausgeliefert, da sie angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt keine Mietwohnung finden und so zwangsweise in den Sammelunterkünften leben müssen. Die Zielsetzung der bayerischen Staatsregierung liegt auf der Hand: Geflüchteten sollen aus dem Land geekelt werden, in dem ihnen das Leben so unangenehm wie möglich gemacht wird.

Wie sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Den kriegen wir nie wieder los“.

Landtag fürchtet um seine Reputation

Bayern eifert nicht nur beim Abbau demokratischer Rechte und in der Abwehr von Geflüchteten der Türkei und Ungarn nach, auch bei der Informationsfreiheit nimmt sich die bayerische Staatsregierung Erdogan und Orban zum Vorbild: Aus dem Netzt des Bayerischen Landtags ist das Nachrichtenportal kommunisten.de nicht mehr erreichbar, weil es "reputationsschädigend" sei bzw. "schädliche Inhalte enthalten" kann.
Die Reputation des Bayerischen Landtags wird aber nicht durch Zugriffe auf kommunisten.de geschädigt, sondern durch die Zustimmung zu Gesetzen wie der "Unendlichkeitshaft".


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