Der Kommentar

29.06.2015: "Der griechische Ministerpräsident will sein Volk über das Sparprogramm der Troika abstimmen lassen. .. Das ist unerhört!", so reagiert DIE WELT auf die Ankündigung eines Referendums in Griechenland und bringt die Meinung der konservativen und sozialdemokratischen Regierungen der EU zum Ausdruck. Sie beantworten damit die Frage des griechischen Finanzministers Varoufakis an die Euro-Finanzminister "Können Demokratie und Währungsunion koexistieren? Oder muss eines von Beiden weichen?"

Politischer Grexit der Euro-Finanzminister
Varoufakis hatte diese Frage beim Treffen der Euro-Finanzminister am Samstag gestellt. Anschließend wurde er aus der Runde hinausgeworfen – ein noch nie dagewesener Akt innerhalb der Euro-Gruppe und der EU. Anschließend diskutierten sie die Zukunft Griechenlands ohne griechischen Vertreter. Zuvor hatten sie den griechischen Antrag auf vorübergehende Verlängerung des Kreditprogramms um einen Monat abgelehnt – "unterstützt von allen Mitgliedern der Eurogruppe, mit Ausnahme des griechischen Mitglieds", heißt es in der Erklärung der Eurogruppe. Der Ausschluss Griechenlands sei legitim, weil es sich bei der Finanzministerrunde nur um ein 'informelles Gremium' handeln würde. Bei den Verhandlungen mit Griechenland – und damit über die Zukunft Europas – war die Rolle dieses Gremiums durchaus nicht 'informell', sondern mit ausschlaggebend für das Scheitern. Bis hin zu der Entscheidung, das Kreditprogramm nicht zu verlängern und damit den Stecker zu ziehen.


Ultimatum
Die 'Institutionen' – Europäische Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationaler Währungsfond (IWF) – hatten zuvor die griechische Regierung ultimativ aufgefordert, spätestens am Sonntag ihrem Diktat zuzustimmen. Glänzend formuliert von der Euro-Gruppe: "Die Minister laden die griechische Regierung ein, den Vorschlag der Institutionen zu akzeptieren." Die Institutionen stellten abschließend klar: Sie verhandeln nicht. Sie diktieren und stellen Ultimaten.

So gingen sie auch in den letzten Tagen nicht auf die Angebote der griechischen Regierung ein. Dabei waren die griechischen Vorschläge mit Massensteuererhöhungen und weiteren Pensionskürzungen sehr weit vom Wahlprogramm entfernt und lagen schon fast jenseits der Grenze der Zustimmungsmöglichkeiten in Griechenland.

Aber entgegen den Darstellungen, die Euro-Gruppe hätte den Griechen am Freitag einen 'neuen Deal' angeboten, glich dieses Angebot genau den Vorschlägen, die die Troika schon immer unterbreitet hatte. Also genau dem, was der linke Premier Tsipras verändern und eben nicht erfüllen wollte. Selbst die in den vorherigen Tagen erreichten kleinen Annäherungen waren wieder gestrichen. Neu war nur, dass das Kreditprogramm bis November laufen könnte.

Der Internationale Währungsfond (IWF) spielte dabei den Scharfmacher. So wie IWF und Weltbank in den 1980er Jahren ihre 'Finanz-Todesschwadronen' nach Lateinamerika und Afrika aussandten, um dort Verarmungsprogramme zu diktieren, so drängt der IWF jetzt in Abstimmung mit den anderen internationalen Gläubigern auf Kürzungsprogramme in Griechenland. Vor allem bei den Renten sollen noch einmal 1,8 Milliarden Euro herausgekürzt werden – also 1 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung. Der höchste Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent soll auf weitere Produktgruppen, darunter auch Nahrungsmittel, ausgedehnt werden (nur für Grundnahrungsmittel soll der ermäßigte Steuersatz gelten), Renten sollen stärker und schneller gekürzt und der Zuschlag, der Kleinstrenten auf maximal 700 Euro aufstockt, abgeschafft werden. Dafür reduziert der IWF die von der griechischen Regierung vorgeschlagene Steuererhöhung für Unternehmensgewinne und streicht die Sondersteuer für hohe Gewinne. Ebenso auf Ablehnung stößt der Vorschlag aus Athen für Lizenzen für Mobilfunk (4G+5G), Internetspiele etc. – Sektoren für ausländische Investoren.

Den IWF beeindruckt auch nicht, dass er mit seinen bisherigen Prognosen für Griechenland weit daneben lag. Noch im Jahr 2010, als das erste Rettungspaket für Griechenland verabschiedet wurde und die sozialdemokratischen und konservativen Regierungen in Athen die Austeritätsprogramme brav umsetzten, prophezeite der IWF ein baldiges Ende der Rezession. Schon 2012 werde die Wirtschaft wieder wachsen - und zwar um exakt 1,1 Prozent. Auch die Arbeitslosigkeit werde kaum steigen. Es kam bekanntlich ganz anders. Bis 2013 schrumpfte die griechische Wirtschaftsleistung um unfassbare 25 Prozent. Die Arbeitslosenquote hat sich mehr als verdoppelt. Die Spirale von Kürzungen, Verarmung der Bevölkerung und Rezession riss das Land in den Abgrund. (Grafik Paul Krugmann)

Trotzdem lehnen IWF und Troika unbeirrt alle Maßnahmen ab, die eine positive umverteilende Wirkung hätten – und wollen an der beinharten Verarmungspolitik festhalten. Das Land soll neue Kredite zur Bedienung alter Kredite aufnehmen, und zur Finanzierung der Zinsen das Austeritätsprogramm fortsetzen.

Diesen Wahnsinn will Tsipras nicht unterschreiben.

Referendum
Wie von IWF, EZB und EU gefordert, entschied in der Nacht zu Sonntag das griechische Parlament – aber anders als erwartet. Die Parlamentsmehrheit beschloss ein Referendum über das Diktat der 'Institutionen' für Sonntag, den 5. Juli. Dagegen stimmten die Abgeordneten der konservativen Nea Demokratia, der sozialdemokratischen PASOK, der sozialliberalen TO POTAMI. Auch die Abgeordneten der Kommunistischen Partei KKE stimmten gegen das Referendum, weil die Regierung damit versuche "das Volk hinters Licht zu führen".

Mit dem Referendum holt SYRIZA die Entscheidungen über die Bearbeitung der Krise aus den Verhandlungsräumen in die demokratische Öffentlichkeit zurück. Es wird deutlich, dass die Eurokrise weit mehr ist als nur ein Schuldenproblem. Denn die Demokratie wird entmachtet und vermeintlichen Sachzwängen unterstellt. 'Marktkonforme Demokratie' nannte dies Bundeskanzlerin Merkel.

'OXI – NEIN'
Mit der Aufforderung, beim Referendum mit 'OXI – NEIN' zu stimmen, weist die SYRIZA-Regierung die Erpressung zur Kürzung der Renten und zur Beseitigung elementarer Schutzrechte der Beschäftigten ebenso wie den Kniefall vor den Euro-Finanzministern zurück. Mit dem Referendum wird deshalb die „Alternativlosigkeit“ der Austeritätspolitik, mit ihr wird aber auch die Zukunft Europas zur demokratischen Entscheidung gestellt. Die neoliberale Politik hat die Europäische Union in eine existenzielle Krise geführt. Überall wachsen Europafeindlichkeit, Nationalismus und Wohlstandschauvinismus.

Info-War und Staatsstreich
Jetzt wird der Infokrieg gegen SYRIZA noch weiter verstärkt, denn letzten Endes geht es Merkel, Schäuble, ..  nur um eins: den »regime change«. Sie wollen den Sturz der SYRIZA-Regierung und die völlige Zerstörung ihres politisches Projekts. Denn erstmals wird in Europa der Kampf gegen den Neoliberalismus nicht nur auf der Straße sondern auch auf der Ebene der Regierungen geführt. SYRIZA ist angetreten um einen Kurswechsel durchzusetzen - in Griechenland und innerhalb der Eurozone. Konservative und sozialdemokratische Regierungen fürchten den 'Dominoeffekt', wenn ein Land die Verarmungspolitik hinter sich lässt. Deshalb wollen sie SYRIZA aus der Regierung jagen. Dafür ist ihnen inzwischen jedes Mittel recht.

Dass SYRIZA das Regierungsprogramm bisher nicht durchsetzen konnte, liegt nicht nur an der Troika und dem neoliberal zugeschnittenen, institutionellen Rahmen der EU. SYRIZA blieb allein. Sozialdemokratisch geführte Regierungen verblieben im Bündnis mit den Konservativen und Liberalen und verteidigen die Austeritätspolitik, so dass die europäischen Mehrheitsverhältnisse nicht wie erhofft verändert werden konnten. Die Bewegungen waren bisher zu schwach dies zu verändern.

Gegen die kriminelle Politik der Troika
Die Krise in Griechenland spitzt sich weiter zu: Die Banken sollen offenbar eine Woche geschlossen bleiben, die Regierung führt Kapitalverkehrskontrollen ein. (Erklärung von Premier Tsipras vom 28.6. siehe unten) Die EU und die Finanzmärkte spielen die Variante eines Ausscheidens Griechenlands aus der Euro-Zone durch.

Ein Grexit würde aber nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern zu enormen wirtschaftlichen Verwerfungen führen. Vor allem würde die herrschende politische Klasse damit Europa für gescheitert erklären. Die rechtspopulistischen und nationalistischen Kräfte, die seit geraumer Zeit zusehends erstarken, würden dann erst richtig an Fahrt gewinnen.

Für SYRIZA und die europäische Linke gibt es jetzt nur noch eine Hoffnung. Sie muss die Bewegungen und Menschen mobilisieren und den Bruch mit Austerität und Diktat wagen. Das Referendum ist eine Aufforderung an Bewegungen, Gewerkschaften und linke Parteien, sich gegen die "kriminelle" Politik der Troika und der Regierungen zu stellen. Die SozialdemokratInnen müssen klären, ob sie weiter an der Seite der Konservativen ungebrochen das Loblied auf die Austeritätspolitik singen, sich an der Hetze gegen Griechenland und SYRIZA beteiligen und so die Erosion des europäischen Projekts befördern oder ob sie umschwenken auf eine Politik für eine Neugründung Europas – demokratisch, sozial und friedlich.

Das heißt heute: 'OXI! Nein zur erpresserischen Sparpolitik der EU, Ja zur Demokratie! Solidarität mit Griechenland! Solidarität mit SYRIZA! Unterstützung des griechischen Referendums! Überall in Europa.

txt: Leo Mayer
foto: Titelseite der Zeitung AVGI


Presseamt des Ministerpräsidenten                                28.06.2015

Erklärung des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras


Die gestrige Entscheidung der Eurogroup, dem Gesuch der griechischen Regierung nach einer wenige Tage umfassenden Verlängerung des Programms, in denen sich das Volk zum Ultimatum der Gläubiger äußern kann, nicht zu entsprechen, verkörpert für europäische Verhältnisse offenkundig einen Akt, der das Rechts eines souveränen Staates auf ein demokratisches Votum, auf das höchste und heilige Recht der Meinungsäußerung, infrage stellt.

Diese Entscheidung hat heute dazu geführt, dass die EZB die Liquidität der griechischen Banken nicht erhöhen wird und die Bank von Griechenland zur Inkraftsetzung von Maßnahmen der Bankenschließung und der Beschränkung der Bankabhebungen gezwungen. Es ist mehr als sicher, dass dieser Beschluss kein anderes Ziel verfolgt, als den Willen des griechischen Volkes unter Druck zu setzen und das normale demokratische Verfahren des Volksentscheides zu behindern.

Sie werden es nicht schaffen. Diese Schritte werden genau das Gegenteil bewirken. Sie werden das griechische Volk nur noch mehr in seiner Wahl bestätigen, die nicht hinnehmbaren Vorschläge des Kürzungsprogrammes und die Ultimaten der Gläubiger abzulehnen.

Eine Sache bleibt jedoch gewiss: Die Verweigerung einer nur wenige Tage umfassenden Verlängerung und der Versuch der Entwertung eines der wertvollsten demokratischen Verfahren stellt einen Akt der Entwürdigung und der größten Schande für die demokratische Tradition Europas dar.

Aus diesem Grund habe ich heute erneut die Bitte um eine kurzzeitige Verlängerung vorgebracht, in diesem Fall beim Vorsitzenden des Europarates und bei den 18 Regierungschefs der Länder der Eurozone, ebenso wie bei den Leitungen der EZB, der Kommission und des Europaparlaments. Ich erwarte ihre unverzügliche Reaktion auf eine begründete Forderung nach Demokratie.

Es sind die Einzigen, die so bald wie möglich, sogar noch heute Abend, den Entschluss der Eurogroup wenden und der EZB die Möglichkeit geben können, den Liquiditätsfluss der Banken wiederherzustellen. Dessen ungeachtet ist in den nächsten Tagen Nüchternheit und Geduld in jedem Fall erforderlich.

Die Bankeinlagen der Bürger bei den griechischen Banken sind absolut sichergestellt.
Ebenso sichergestellt ist auch die Überweisung von Gehältern und Renten.

Jedweden auftretenden Schwierigkeiten muss mit Besonnenheit und Entschlossenheit begegnet werden. Je besonnener wir den Schwierigkeiten begegnen, desto eher werden wir sie überwinden und desto milder werden ihre Auswirkungen sein.

Wir haben heute die Möglichkeit, uns selbst und der ganzen Welt zu beweisen, dass das Recht gewinnen kann. Wir haben ein weiteres Mal die historische Chance, eine Botschaft der Hoffnung und der Würde nach Europa und in die ganze Welt hinaus zu schicken.

Und mögen wir uns daran erinnern: In diesen kritischen Stunden, in denen wir uns alle mit der Größe unserer Geschichte messen, ist unsere einzige Angst die Angst. Wir werden es nicht zulassen, dass sie über uns siegt.
Wir werden es schaffen.

Die würdevolle Haltung der Griechen gegenüber den Erpressungen und dem Unrecht wird eine Botschaft der Hoffnung und des Stolzes nach ganz Europa hinaus schicken.

 


siehe auch

 

Wir sprechen über Palästina

Gazakrieg Grafik Totoe 2024 04 07

mit Rihm Miriam Hamdan von "Palästina spricht"

Wir unterhalten uns über den israelischen Vernichtungskrieg, die Rolle Deutschlands (am 8. und 9. April findet beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Anhörung über die Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord statt), die Situation in Gaza und dem Westjordanland und den "Tag danach".

Onlineveranstaltung der marxistischen linken
Donnerstag, 18. April, 19 Uhr

https://us02web.zoom.us/j/82064720080
Meeting-ID: 820 6472 0080


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Logo Ratschlag marxistische Politik

Ratschlag marxistische Politik:

Gewerkschaften zwischen Integration und Klassenkampf

Samstag, 20. April 2024, 11:00 Uhr bis 16:30 Uhr
in Frankfurt am Main

Es referieren:
Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie, Uni Göttingen
Frank Deppe, emer. Professor für Politikwissenschaft, Marburg

Zu diesem Ratschlag laden ein:
Bettina Jürgensen, Frank Deppe, Heinz Bierbaum, Heinz Stehr, Ingar Solty

Anmeldung aufgrund begrenzter Raumkapazität bis spätestens 13.04.24 erforderlich unter:
marxlink-muc@t-online.de


 

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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